Depressionen sind eine häufige psychische Erkrankung, fast ein Viertel der ÖsterreicherInnen gab in einer Umfrage an, selbst schon einmal davon betroffen gewesen zu sein. JedeR Zweite kennt jemanden, der schon einmal eine Depression hatte. Bei einer diagnostizierter Depression werden mitunter Antidepressiva verschrieben. Eine Studie der Uni Wien hat nun gezeigt, dass diese Empathie hemmen. Der Erstautor der Studie, Markus Rütgen, erklärt, wieso.
Schrödingers Katze: Wie verändert eine Depression das soziale Verhalten?
Markus Rütgen: Eine Depression geht üblicherweise mit starken Beeinträchtigungen des Sozialverhaltens einher. Die depressive Stimmung und der Verlust an Interessen und Energie verändern die Lebensqualität stark zum Schlechteren. Oft ist die Fähigkeit zu normaler sozialer Interaktion, ob im Privatleben oder im Beruf, erheblich reduziert. Die Erfüllung der eigenen Rollen als Elternteil, in der Familie, aber auch der Freizeit wird stark erschwert und es kommt oft zu einem sozialen Rückzug und Krankheitsverhalten.
Was unterscheidet Ihre Studie von anderen?
Bisher wurden die meisten Studien zur Empathie bei Depression an Gruppen von PatientInnen durchgeführt, die zum größten Teil unter dem Einfluss von Antidepressiva standen. Das hängt nicht mit der Nachlässigkeit der ForscherInnen zusammen, sondern damit, dass gerade bei schweren Depressionen meist sehr zeitnah nach der Diagnose mit der medikamentösen Therapie begonnen wird, um rasch einen Effekt zu erzielen. In so einem Fall verschwimmen die Effekte der Antidepressiva mit jenen der Depression an sich.
Wie haben Sie das Empathieempfinden der StudienteilnehmerInnen getestet?
In unserem Fall wurden die PatientInnen mehr oder weniger unmittelbar nach der Diagnose einer Testung im Magnetresonanztomographen unterzogen, bei der sie unter anderem einen Test zum empathischen Schmerzempfinden absolvierten. Bei diesem Test werden Videos von Menschen gezeigt, die Schmerz empfinden. Dies löst verlässlich Aktivität in verschiedenen Gehirnarealen aus, die mit Empathie in Verbindung gebracht werden. Erst nach der ersten Testung wurde mit der medikamentösen Therapie begonnen.
Nach dreimonatiger Einnahme von Antidepressiva wurde eine zweite Testung durchgeführt, die vom Ablauf her mit der ersten Testung ident war. Wir waren hauptsächlich daran interessiert, inwieweit sich eine akute depressive Phase sowie Antidepressiva auf das empathische Schmerzempfinden auswirken. Durch unser Studiendesign konnten wir klar zwischen Effekten der Depression an sich und der Antidepressiva unterscheiden.
Wie stark waren die Unterschiede beim Empathieverhalten zwischen den mit Antidepressiva behandelten PatientInnen und der Kontrollgruppe?
Vor der medikamentösen Behandlung konnten wir keine Unterschiede zwischen PatientInnen und Kontrollgruppe feststellen. Nach der Behandlung beobachteten wir starke Effekte auf Hirn- und Verhaltensebene, und zwar sowohl im Vergleich der beiden Testungen, als auch im Vergleich mit der Kontrollgruppe. Dies betraf Gehirnareale, die für das empathische Schmerzempfinden zuständig sind, sowie das von den PatientInnen berichtete selbst empfundene Unwohlsein bei der Betrachtung der Videos. Diese Maße gingen stark zurück, es war also für die PatientInnen nach der Behandlung weniger unangenehm, den Schmerz anderer Menschen zu beobachten.
Wieso können Antidepressiva Empathie hemmen?
Dafür gibt es mehrere mögliche Erklärungen. Depressive Menschen neigen dazu, auf negative Reize und Begebenheiten zu fokussieren. Es wurde gezeigt, dass Antidepressiva solche sogenannten Aufmerksamkeitsverzerrungen, auch Bias genannt, normalisieren können. Die Effekte könnten also durch eine reduzierte Aufmerksamkeit auf die negativen Emotionen anderer Menschen entstehen.
Andererseits wurde gezeigt, dass die in der Studie verwendeten Antidepressiva, die vorwiegend sogenannte Serotonin-Wiederaufnahmehemmer waren, grundsätzliche Auswirkungen auf die emotionale Wahrnehmung im Sinne einer „Dämpfung“ haben. Gegen diese Erklärung spricht im Fall unserer Studie, dass die Verarbeitung von selbst empfundenem Schmerz bei den PatientInnen durch die Therapie nicht verändert wurde. Weitere Forschung wird nötig sein, um den exakten Mechanismus hinter dem beobachteten Effekt zu ergründen.