Besonders die jüngere Population scheint dem ‚faden‘ alten Deutsch neues englisches Leben einhauchen zu müssen, um es attraktiv zu gestalten. Wir haben bei Barbara Soukup, Sprachwissenschaftlerin am Institut für Anglistik und Amerikanistik der Universität Wien, nachgefragt, inwiefern Anglizismen als Trend, als Spracharmut oder doch als Wandel in der modernen Sprache aufzufassen sind.
Eine ernüchternde Nachricht vorweg: Anglizismen, so polarisierend sie auch auf die Gesellschaft wirken, sind aus sprachwissenschaftlicher Perspektive weder gut noch schlecht noch ein neues Phänomen in der Sprachgeschichte, sondern linguistisch schlichtweg ‚banal‘. Soukup widmet ihre Forschung dem Gebiet der Anglizismen, genauer gesagt dem Einzug des Englischen in der Sprachlandschaft Wiens.
Ihr Forschungsprojekt „English in the Linguistic Landscape of Vienna, Austria“ zielt darauf ab, das englische Wort nicht beim Menschen direkt, sondern in seiner Manifestation im alltäglichen Straßenbild – also direkt in der Lebenswelt – zu verorten. Doch zäumen wir das Pferd besser von Vorne auf:
Was sind denn Anglizismen eigentlich? – Leihwörter.
„Prinzipiell und historisch gesehen sind einer Fremdsprache entlehnte Wörter immer eine ganz natürliche und häufig verbreitete Begleiterscheinung von Sprachkontakt, also sprachwissenschaftlich überhaupt nichts Außergewöhnliches – geradezu banal.“ Sprachkontakt, erklärt die Sprachwissenschaftlerin, ist dabei immer auf die SprecherInnen bezogen und findet in den Personen statt, die beide Sprachen (bis zu welchem Grad auch immer) beherrschen.
Sprachkontakt beginnt also bereits früh in der Schule oder noch früher im medialen Konsumverhalten. Eine zweite Erklärung für den Einzug des Englischen ins Deutsche (und in die ganze Welt), ist dessen Funktion als globale Verkehrssprache, als sogenannte Lingua franca, wodurch Englisch zum kleinsten sprachlichen gemeinsamen Teiler einer international vernetzten Welt wird.
„Doch auch dieses Phänomen ist sprachhistorisch keineswegs neu oder ungewöhnlich – eine Rolle, die von der Zeit der Römer bis ins Mittelalter Latein, ab da bis ins 20. Jahrhundert Französisch eingenommen hatte, wird eben jetzt (unter anderem aufgrund der Verbreitung durch Kolonialisierung, aber eben auch durch die kulturelle, wirtschaftliche und soziale Globalisierung) von Englisch eingenommen“, führt Soukup die „Banalität“ von Anglizismen weiter aus.
Eine Frage der Macht und der Ideologie, nicht der Sprache
Ob Englisch das Potenzial hat zur „Weltsprache“ zu werden? Ja, so wie jede andere Sprache auch. Laut Soukup hat die Verbreitung des Englischen keinen sprachwissenschaftlichen Ursprung, sondern ausschließlich einen sozial- und geopolitischen. „Englisch ist nicht irgendwie ‚besser‘ oder ‚leichter‘ oder ‚cooler‘ als Deutsch. Das sind rein subjektive, wenn auch kollektiv abgestimmte, gespeicherte und verbreitete Ideologien und Empfindungen. Es geht bei Sprachkontakt und Sprachverwendung immer auch um Sprachideologien. Sehr wenig hat dabei mit der „Mechanik“ und der Form der Sprachen selbst zu tun.“
Es gibt also sprachwissenschaftlich keine Argumente die für oder gegen Anglizismen sprechen, sondern lediglich Sprachideologien. Deshalb lässt es sich auch gerne und ausgiebig darüber streiten. Dasselbe gelte übrigens auch für österreichische Dialekte, die weder besser noch schlechter als die Hochsprache seien, fügt die Linguistin hinzu.
Um eine Glaubensfrage handelt es sich folglich auch, wenn von der Verwendung von Anglizismen auf die SprecherInnen geschlossen wird. So stellt die Verwendung von Anglizismen für die Sprachforscherin keine Verunglimpfung der Sprache und somit auch kein Zeugnis für Spracharmut seitens der Jugend dar. Dass Sprache sich verändert ist ein „fact of life“, mit dem wir uns wohl oder übel abfinden müssen, so Soukup.
Andersherum gefragt: Was sagt die Verwendung oder das Weglassen von Anglizismen denn eigentlich über die SprecherIn aus? Sucht und findet man im Store dasselbe wie im Geschäft? Ist der Coffee to go das Gleiche wie der Kaffee zum Mitnehmen?
Diese Frage ist in der Sprachforschung tatsächlich noch offen und wird auch unter anderem in der Studie von Soukup thematisiert, welche den Einfluss des Englischen nicht am Individuum, sondern in ihrer verschriftlichten Form im öffentlichen (Sprach-)Raum untersucht.
Sprache ist ein stilistisches Distinktionsmerkmal, und ob der Paraplui der älteren Dame dem Selfiestick eines Teenagers sprachlich überlegen oder unterlegen ist, bleibt Glaubensfrage.
Die Anglistin und Sprachwissenschaftlerin Soukup untersucht den schriftlichen Sprachgebrauch im öffentlichen Raum. Genauer gesagt wie sich gesellschaftliche Phänomene eben jenen Sprachgebrauch formen. Mit ihrer Forschung begibt sie sich dabei in die Tradition der „Linguistic Landscape“ Forschung. Konkret stellt ihre Forschung eine Sondierung des öffentlichen Raumes nach „kleinsten Stückchen von Sprachpolitik“ dar.
Dies können Sticker auf Verkehrsschildern, Graffiti, Geschäftsschildern, Kanaldeckeln und so weiter und so fort sein. Die linguistische Vermessung einiger Wiener Gemeindebezirke – mit Kamera und Klemmbrett im Anschlag – stellt dabei den ersten Schritt dar, um die Zusammenhänge zwischen sprachlichen und gesellschaftlichen Dynamiken zu erforschen. Wieso dieses Wort, wieso diese Sprache, wieso keine andere, wieso in diesem Kontext?
Autor: Stefan Schallert