Diagnose Alzheimer – sowohl für Betroffene als auch für die Angehörige ein Schicksalsschlag. Die Krankheit tritt meist bei Personen im Alter von über 65 Jahren auf und kennzeichnet sich durch Verhaltensauffälligkeiten und Verschlechterung der kognitiven und physischen Leistungsfähigkeit. Nach einem Heilmitttel für die Krankheit Alzheimer wird seit Langem geforscht.
Der in Wien geborene und in New York lebende Neurowissenschaftler und Nobelpreisträger Eric Kandel (68) hat vor Kurzem mit neuen Forschungsergebnissen für Aufmerksamkeit gesorgt. Eventuell sind er und sein Team dabei, ein Mittel zur Linderung der Krankheit Alzheimer zu entdecken. Gestärkte Aktivitäten eines Gens (PP2A) halten die Folgen des Amyloid-β-Plaques, welches sich bei der Entstehung der Krankheit im Gehirn ablagert, in Grenzen. Durch die Steuerung der Aktivitäten des PP2A konnte man bei Versuchsreihen mit Mäusen erste Erfolge feststellen.
Prof. Peter Dal-Bianco von der ihm gegründeten Ambulanz für Gedächtnisstörungen und Demenzerkrankung erklärt im Interview, was diese Ergebnisse für die Alzheimerforschung bedeuten und woran in diesem Zusammenhang an der Medizinischen Universität Wien geforscht wird:
Haben Sie ähnliche Untersuchungen wie Kandel durchgeführt? Sie beforschen die Krankheit Alzheimer seit 30 Jahren. Was halten Sie persönlich von Kandels Ergebnissen?
Prof. Peter Dal-Bianco: Wir haben keine derartigen Untersuchungen durchgeführt, denn dabei handelt es sich um Laborergebnisse der Grundlagenforschung – und ich bin klinischer Forscher. Ob Kandel wirklich ein Mittel gegen Alzheimer entdeckt hat, bleibt abzuwarten. Dies wird erst durch klinische Studien zu beweisen sein. Ich bin optimistisch, dass man eine modulierende AD-Therapie finden wird.
Dabei wird es sicher nicht nur ein einziges Medikament geben, sondern mehrere Wirkstoffe mit unterschiedlichen Zeitfenstern der Verabreichung. Die Art der Wirkstoffe und das Zeitfenster der Anwendung sind je nach Patientin und Patient verschieden, es bedarf also einer individuellen „maßgeschneiderten“ Therapie. Wir sollten auch wissen, was die Hirndegeneration antreibt, welche Stoffe dagegenhalten und in welchem Stadium der Krankheit der oder die Betroffene von welchem Wirkstoff profitiert. Bei der Entstehung von Alzheimer spielen jedenfalls mehrere Faktoren eine Rolle.
Wie wird an der Medizinischen Universität Wien im Bereich Alzheimer geforscht?
Unsere Aufgabe als Kliniker besteht darin, eine Brücke von der Grundlagen- zur klinischen Forschung zu schlagen. Wir arbeiten zurzeit an humanen Phase-1-Therapiestudien gegen Alzheimerdemenz (AD). Das bedeutet, wir verabreichen (in Kooperation mit den Internisten der MUW-Abteilung „Klinische Pharmakologie“) Impfstoffe an AD-Patientinnen und Patienten, überprüfen die Verträglichkeit und dokumentieren die Wirksamkeit.
Dabei handelt es sich stets um Patientinnen und Patienten, die sich bereits im klinischen Frühstadium (MMSE 20-26) der Alzheimer befinden. Die aktiven Impfstoffe richten sich gegen die alzheimertypischen Proteine Aß und TAU. Der Vorteil von Aktivimpfungen besteht darin, dass diese das menschliche Immunsystem gegen Aß und TAU trainieren. Aß und Tau werden unter anderem für die Entstehung der Alzheimer verantwortlich gemacht. Die Entwicklung eines Impfstoffes ist Aufgabe der Grundlagenforscher und findet im Labor statt.
Was sind Ihre neuesten Forschungsergebnisse?
Bis dato konnte noch keine signifikante klinische Wirkung aufgrund einer Aß-Impfung nachgewiesen werden, aber die Verträglichkeit ist dokumentiert. Ob die Therapie letztendlich wirksam und ein klinischer Effekt erreicht wird, zeigt erst die Phase-3-Studie. Wir konnten allerdings bei einigen Patientinnen und Patienten feststellen, dass sie nach der Impfung Antikörper erzeugen.
Was sind diese Faktoren und kann man gegen die Entstehung von Alzheimer vorbeugen?
Theoretisch kann die Krankheit jeden treffen. Es wurden allerdings folgende „Beschleuniger“ neuropathologischer Mechanismen also der Hirnzerstörung erkannt: Bluthochdruck, Diabetes, Fettleibigkeit, geistige Faulheit, Zigarettenrauchen und Depressionen. Dagegen kann man mithilfe einer gesunden Lebensweise und Beachtung/Beseitigung der Alzheimer-Risikofaktoren vorgehen.
Welche Therapien gibt es weltweit im Bereich Alzheimer und wie sieht die Weiterentwicklung aus?
Es gibt „modifizierende“ Therapien, sie beeinflussen den Krankheitsablauf von Alzheimer. Das sind die oben genannten Immuntherapien, die wir an der Medizinischen Universität Wien klinisch prüfen. Des Weiteren gibt es Modulatoren der Alpha-, Beta- und Gammasekretase, die die Entstehung der Aß-Peptide vermindern sollen.
Die derzeit zugelassenen symptomatischen AD-Wirkstoffe (in der Apotheke erhältlich) wie die Acethycholin-Esterase-Hemmer Donezepil, Galanthamin und Rivastigmin bewirken, dass der Überträgerstoff Acethycholin verzögert abgebaut wird und dadurch länger in der Synapse wirken kann. Der symptomatische Wirkstoff Glutamat-Rezeptor-Antagonist (Memantin) verhindert, dass zu viel Kalium in die Zelle strömt (=„Hintergrundrauschen“). Auch andere neue symptomatische AD-Wirkstoffe werden derzeit geprüft.
Mittel gegen Alzheimer wurden in den USA getestet. Ist man dort im Forschungsbereich Alzheimer schon weiter und wie ist der derzeitige Stand in Europa?
Den Bereich Alzheimer betreffend, kooperieren die Europäische Union, die USA und einige Länder in Südostasien (z. B. Japan und Südkorea). Wir ziehen weltweit alle an einem Strick, wobei die vielen Arbeitsgruppen auf unterschiedliche Forschungsschwerpunkte spezialisiert sind.
Interview: Silvia Kluck