Schrödingers Katze: Was war die Idee hinter der Studie, die du in Indien durchgeführt hast?
Daria Belostotckaia: Das Ergebnis meiner Studie war leider nicht das, was ich mir erwartet hatte. Ich wollte herausfinden, wie gemeinsame Interaktionen von verschiedenen Generationen unser subjektiv empfundenes Wohlbefinden beeinflussen. Die Stichprobe der Probanden sollte aus älteren, alleinlebenden Menschen und Waisenkindern bestehen. Es gibt nicht viele Waisenhäuser in Europa, so bin ich auf Indien gekommen. Ich habe 500 Waisenhäuser kontaktiert, nur eines davon hat mich eingeladen, ohne mich auch nach Geld zu fragen. Im selben Dorf gab es außerdem viele ältere Menschen, die in kompletter Isolation gelebt haben.
Was war das Ergebnis der Studie?
Die ursprüngliche Pilot-Studie lief nicht so wie erwartet. Es war geplant, den Teilnehmern Fragebögen auszuhändigen um verschiedene psychologische Charakteristika zu testen. Um ehrlich zu sein war das Problem dabei, dass die älteren Teilnehmer alle unterhalb der Armutsgrenze lebten. Das hatte ich nicht erwartet. Viele von ihnen wollten einfach nur etwas zu essen und interessierten sich nicht für die Fragebögen. Dieses Ergebnis kam wirklich völlig unterwartet. Also begann ich, sie stattdessen zu fotografieren und zu interviewen.
Wie war deine Erfahrung im Umgang mit den Menschen?
Es war sehr schwierig. Ich hatte natürlich gewusst, dass sie arm sein würden. Aber ich hatte mir keine Vorstellung davon machen können. Es war sehr hart für mich, sie in diesen Umständen zu sehen, und zu sehen, wie hungrig sie waren. Meine Gruppe und ich wollten einfach nur weg von dort, wir konnten ihnen ja auch nicht wirklich helfen. Die meisten Unterhaltungen mit den Älteren drehten sich nur darum, wie hungrig sie waren. Obwohl ich sehr oft mit älteren Menschen zutun habe, war das sehr fordernd für mich.
„Menschen sind nicht trotz, sondern wegen ihres Alters schön.“
Warum hast du dich dazu entschieden, die Fotos zu veröffentlichen?
Nachdem die Studie so ein Reinfall war, begann ich, die älteren Menschen zu fotografieren und ihnen sehr persönliche Fragen zu stellen, ob sie Angst vor dem Tod haben, was sie am Leben lieben, zum Beispiel. Nach meiner Rückkehr konnte ich mir die Fotos einen Monat lang nicht ansehen, weil ich ein wenig traumatisiert von dieser Erfahrung war. Als ich sie mir endlich ansehen konnte, sah ich, dass die Menschen schön waren, trotz der Umstände. Das hat vieles für mich verändert. Ich wollte mit der Veröffentlichung der Fotos zeigen, dass Menschen nicht trotz, sondern wegen ihres Alters schön sind.
Woran forschst du jetzt?
Ich habe zwei Monate in Bristol im Vereinigten Königreich verbracht. Dort habe ich eine Studie durchgeführt, bei der ältere Menschen und Kinder mit verschiedenen sozialen Hintergründen an einem generationenübergreifenden Programm teilgenommen haben. Ich wollte untersuchen, wie sich ihr subjektives Wohlbefinden und auch ihre Einstellung gegenüber dem Alter verändert hat.
Wie hat das Programm die Teilnehmer verändert?
Ich habe das subjektive Wohlbefinden der Probanden vor und nach dem Programm gemessen, mit signifikanten Ergebnissen. Sowohl das Wohlbefinden der älteren Menschen als auch das der Kinder hat sich verbessert. In ähnlichen Studien, die ich durchgeführt habe, waren die Resultate nicht so eindeutig. Die Einstellung der Kinder gegenüber älteren Menschen hat sich allerdings verbessert.
Gab es demografische Unterschiede zwischen den Teilnehmern, die sich auf das Ergebnis ausgewirkt haben?
Sehr junge Kinder, also von fünf bis sieben, hatten generell eine eher positive Einstellung gegenüber den Interaktionen mit anderen Generationen. Sie waren eher bereit, zu kommunizieren und sich den Beziehungen, die entstanden sind, zu öffnen. Demnach würde ich sagen, dass es durchaus empfehlenswert ist, Kinder dieses Alters in solche Programme zu involvieren.
Was können wir davon lernen, wenn wir mit älteren Menschen sprechen?
Ältere Menschen erwarten oft nicht, dass man sich für sie interessiert. Wenn du ihnen aber zeigst, dass du dich wirklich für sie interessierst, sprechen sie sehr gut darauf an. Es gibt viele Vorurteile gegenüber dem Alter, zum Beispiel, dass ältere Menschen immer mürrisch sind oder immer nur über ihre Gesundheit reden wollen. Aber wenn man wirklich auf sie zu geht, merkt man, wie unterschiedlich sie alle sind.
Daria Belostockaia hat 2017 mit ihrem Bild den Fotowettbewerb „Meine Forschung in einem Bild“ der Uni Wien gewonnen. Die Einreichfrist für den diesjährigen Wettbewerb ist am 25. April.