Jährlich gibt es ungefähr 44.000 Krebsneuerkrankungen in Österreich, insgesamt leben 400.000 Menschen mit der Krankheit. Bereits jetzt ist Krebs die zweithäufigste Todesursache im Land – und es wird künftig – etwa aufgrund der steigenden Lebenserwartung – mehr Krebsfälle geben. Umso wichtiger ist es, dass Patient*innen und deren Angehörige Methoden entwicklen, um mit der Krankheit zu leben und dass sie bei Bedarf psychologische Unterstützung erhalten.
Bereits vor einer im Raum stehenden Diagnose sollte man sich auf eine schlechte Nachricht vorbereiten, sagt Julia Chiarello. Sie ist am Brustgesundheitszentrum der Universitätsklinik für Frauenheilkunde am AKH Wien als Klinische Psychologin mit dem Schwerpunkt Psychoonkologie tätig. Sie rät, eine Vertrauensperson zum Arztgespräch mitzunehmen, Fragen zu notieren und sich gegebenenfalls nach der Diagnosemitteilung nach Unterstützungsmöglichkeiten im Krankenhaus zu erkundigen, denn dort gibt es meist ein ganzes Behandlungsteam, bestehend aus unterschiedlichen Berufsgruppen (wie beispielsweise Klinischen Psycholog:innen, speziell ausgebildete Pflegepersonen und Sozialarbeiter:innen), das Patient:innen in dieser Situation zur Seite stehen kann. Zudem erhalten Patient*innen von ihren Ärzt*innen Informationen und besprechen mit diesen das weitere Vorgehen.
„Für viele Patient*innen ist die Diagnose Krebs ein großer Schock“, so Julia Chiarello. In der Psychologie unterschiedet man zwischen verschiedenen Krisen. So können Veränderungskrisen durch schöne Ereignisse – wie etwa die Geburt eines Kindes – hervorgerufen werde. Es gibt aber auch traumatische Krisen: Das sind plötzlich auftretende schwere Schicksalsschläge – auch eine Krankheit kann eine traumatische Krise auslösen. Dennoch reagiert jeder Mensch individuell auf die Diagnose. Hier spielt der allgemeine (psychische) Zustand der jeweiligen Person, ihre vorhandenen Bewältigungsstrategien und Unterstützungsmöglichkeiten eine Rolle.
Maßnahmen treffen
Jede*r kann auch selbst Maßnahmen ergreifen: „Zeit mit Vertrauenspersonen zu verbringen und darüber reden hilft. Auch raus in die Natur zu gehen und sich zu bewegen, sowie die Anwendung von Entspannungstechniken, wie Atemübungen oder progressive Muskelentspannung, kann hilfreich sein.“, erzählt Chiarello. Patient*innen sollten sich Zeit lassen und Zeit geben und auch negative Gefühle zulassen. „Eine solche Diagnose fühlt sich nicht gut an, umso wichtiger ist es, diesen Zustand als Ausnahmezustand anzuerkennen; ebenso ist es von Bedeutung, gemeinsam mit dem medizinischen Personal einen Plan für die Behandlung zu erstellen. Kennen die Patient*innen die nächsten Schritte und ihren Behandlungsplan, hilft ihnen das oft ihre Anspannung etwas zu lösen.“ Nachdem Wissen Angst reduzieren kann, sollten weitere Informationen eingeholt werden. Achtung: Dr. Google ist nicht die beste Anlaufstelle, sondern befeuert oft unnötig die eigene Phantasie. Lieber sollten Patient:innen ihre Fragen an das medizinische Fachpersonal stellen.
Ein Drittel der Krebs-Patient*innen braucht professionelle Unterstützung. Klinische Psycholog*innen helfen den Betroffenen, die Situation besser auszuhalten und Strategien für deren Bewältigung zu finden. Wichtig ist es, Ungewissheit zu bekämpfen und Fragen auszusprechen.
Mit der Angst leben
Manche Patient*innen machen sich Vorwürfe und fragen sich, warum sie an Krebs erkrankt sind. „Sie wünschen sich eine Erklärung und denken sich: Wenn ich von nun an alles richtig mache, kann mir nichts Schlimmes mehr passieren.“ Laut der Expertin ist es wichtig, mit Mythen aufzuräumen und sich an Fakten zu halten. Früher gab es die Idee, dass es bestimmte Menschen gibt, die aufgrund ihrer Persönlichkeit zu Krebserkrankungen neigen, etwa weil sie sich alles zu Herzen nehmen, zum Grübeln oder einer negativ gefärbten Stimmung neigen. Das hat sich nie wissenschaftlich bestätigt: „Es gibt zwar medizinische Risikofaktoren, aber keine Krebs-Persönlichkeit“.
Für den Umgang mit der Angst erinnert die Klinische Psychologin, dass diese ein menschliches Gefühl und Teil unseres Lebens ist. Das Ziel besteht darin, Angst nicht loszuwerden, sondern mit ihr leben zu lernen.
Bedürfnisse kommunizieren
Die Diagnose Krebs belastetet oft auch die Beziehungen der Patient*innen mit ihren Angehörigen.
Viele ertragen Mitleid nur schwer, genau wie vermeintlich gute Ratschläge oder Vergleiche mit der Situation anderer Menschen. Die meisten Angehörigen wiederum wollen zwar helfen, wissen aber nicht, wie. Julia Chiarello erinnert daran, dass Patient*innen die Expert*innen für sich selbst sind. Sie sollten ihre Bedürfnisse erforschen und ihrem Umfeld mitteilen. Gute Kommunikation ist auch im Zusammenhang mit Liebe und Sexualität das Schlüsselwort: „Viele stellen sich Fragen, wie die, ob sie während einer Chemotherapie überhaupt Sex haben dürfen oder wie sie mit den Veränderungen ihres Körpers umgehen sollen.“ Einige Paare vernachlässigen, oft aus Scham- und Schuldgefühlen heraus, die Kommunikation – und dann fühlen sich beide mit ihren Ängsten alleine. Klinische Psycholog*innen oder Psychotherapeut*innen können hier helfen. Die Möglichkeit, Kinder zu bekommen, bewegt, da manche Chemotherapien sich auf die Fruchtbarkeit auswirken können, daher sollten die Patient*innen auch mit einer/m Fertilitätsspezialistin/-en sprechen um früh genug überlegen zu können, welche Möglichkeiten für sie in Frage kommen.
Julia Chiarello weiß aus Erfahrung, dass viele Menschen mit der Erkrankung Krebs ein schönes Leben führen – und das oft bereits mehrere Jahre lang: „Ich kenne viele Patient*innen, die ihren Beruf ausüben, Reisen unternehmen und ihren Hobbies nachgehen.“