„Pflegewissenschaft befasst sich vorrangig mit den Reaktionen von Menschen auf gesundheitliche Veränderungsprozesse (z. B. Altern) und Krankheit sowie mit der Gesundheitsförderung – insbesondere auch in Hinblick auf die Prävention von Pflegebedürftigkeit. Auch das berufliche Handeln von Pflegenden, deren Aus- und Weiterbildung sowie die Zusammenarbeit mit den anderen Berufsgruppen werden erforscht“, erklärt Sabine Pleschberger, die seit Dezember 2023 die Stiftungsprofessur für Pflegewissenschaft im Zentrum für Public Health an der Medizinischen Universität Wien innehat. Sie erinnert daran, dass der Begriff der Pflege schwer einzugrenzen ist. Pflegetätigkeiten sind vielen bekannt und oft erforderlich, etwa die Pflege von Kindern oder älteren Menschen. Diese sogenannte „informelle Pflege“ findet im häuslichen Umfeld statt, meist im Rahmen eines selbstverständlichen „Sich-kümmerns“, „Dasein“ oder als „Unterstützung im Alltag“, und sie wird von den Betroffenen mitunter gar nicht als Pflege wahrgenommen.
Das Spektrum von informeller Pflege bis hin zur formellen, professionellen Pflege ist breit und vielfältig. Letztere findet etwa im Krankenhaus, im Heim oder Zuhause bei den Patient*innen statt, eigenständig und einverantwortlich und/oder in Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen, etwa der Medizin.
Akademisierung
In den letzten Jahren hat sich die Pflege als Beruf in Österreich akademisiert. Seit der Novelle des Berufsgesetzes im Jahr 2016 ist für die Ausbildung zum sog. „gehobenen Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege“ der Abschluss eines entsprechenden Bachelorstudiums Voraussetzung. Daneben gibt es noch weitere Möglichkeiten, um in der Pflege zu arbeiten, für die es kein Studium braucht: Die Ausbildung zur Pflegeassistenz dauert ein Jahr, die zur Pflegefachassistenz zwei Jahre und auch in vielen Sozialbetreuungsberufen sind Grundqualifizierungen in der Pflege enthalten. Die Pflegewissenschaft hat sich mittlerweile in Österreich, trotz Verzögerung im internationalen Vergleich etabliert: So wurde vor 20 Jahren die erste Stiftungsprofessur für Pflegewissenschaft ins Leben gerufen. Mittlerweile gibt es sechs Professuren, d. h. es ist möglich, in Pflegewissenschaft zu promovieren und eine Forschungslaufbahn einzuschlagen. Damit wird sichergestellt, dass die Praxis der Pflege auch auf wissenschaftlichen Grundlagen erfolgt (ähnlich wie in der Medizin), aber die Sicherstellung qualitätsvoller Pflege geplant, weiterentwickelt und wissenschaftlich evaluiert werden kann.
Gestiegener Pflegebedarf
„Pflege ist mitten in der Gesellschaft und diese verändert sich eben“, betont Sabine Pleschberger. Über diese Änderungen ist in Medien oft zu lesen. Nicht erst seit der Corona-Pandemie wird über den Pflegemangel diskutiert. Fakt ist, dass aktuell in allen Bereichen an qualifizierten Pflegepersonen mangelt, und dieser Mangel noch ansteigen wird. Das hat verschiede Gründe, etwa Pensionierungen bisher tätiger Pfleger*innen oder Berufswechsel bzw. Nachwuchsprobleme angesichts geburtenschwacher Jahrgänge und einem bestehenden Fachkräftemangel in allen Sparten. Zugleich ist der Bedarf nach Pflege gestiegen und die Aufgaben werden komplexer. „Die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig Pflege ist und dass unser Gesundheitssystem, das sehr auf Ärzt*innen fokussiert ist ohne ausreichend und qualifiziertem Pflegepersonen nicht aufrechterhalten werden kann.“
Chronische Krankheiten, eine älter werdende Bevölkerung, veränderte familiäre Strukturen oder auch der Klimawandel führen dazu, dass der Bedarf an Pflege weiterhin steigen wird.
Community Nurses
Auch die informelle Pflege ist davon betroffen, der Bedarf nach dieser wächst ebenfalls und kann pflegende Bezugspersonen herausfordern. Es braucht vielfältige Maßnahmen, um pflegende Angehörige zu unterstützen, diese wurden in der jüngeren Vergangenheit auch weiter ausgebaut (z. B. Pflegetelefon, Kurzzeitpflege, Beratungsangebote, …). Ein innovativer Ansatz zur Entlastung sind auch Community Nurses, aktuell wird ein Pilotprojekt dazu in ganz Österreich durchgeführt: Wohnortnah und leicht zugänglich sollen diese Gesundheits- und Krankenpfleger*innen mit einschlägiger Fortbildung allen Menschen helfen, die pflegerische oder gesundheitliche Unterstützung benötigen. Sie können auch als Verbindungsglied zwischen Pflegebedürftigen und Angehörige agieren und unterstützen. „Community Nurses liefern den benötigten Rundumblick und setzten sich auch für Prävention von Krankheiten ein. Sie besuchen Betroffene Zuhause und ersparen diesen oft den Gang zum Arzt/zur Ärztin.“
Zudem stellen sich weitere Fragen im Bereich der Pflege, etwa die, wie Pflegeheime gestaltet werden sollen und wer über die Finanzierung von Pflege entscheidet.
Care im Fokus
Die Notwendigkeit einer professionellen Pflege entwickelte sich im 18. und 19. Jahrhundert entlang der Fortschritte in der (männlich dominierten) Medizin, und der Beruf gilt als traditionell weiblich. „Die Forschung zeigt, dass Pflege lange Frauenarbeit war. Das ist mitunter ein Grund, warum ihr gesellschaftlich weniger Relevanz zugeschrieben wurde.“ Pflegearbeit ist Care-Arbeit – also Beziehungsarbeit – und die Beziehung beeinflusst häufig die Qualität der Arbeit. Sabine Pleschberger erläutert das anhand eines Beispiels: „Wenn ich einen Verband brauche, dann macht es einen Unterschied, wie mir die Pflegeperson diesen Verband anlegt: Macht sie dies hastig und ohne Gefühl oder nimmt sie sich Zeit für mich, geht auf meine Bedürfnisse ein und hat ein paar nette Worte für mich?“
Gute Pflege sichern
Lange Zeit tat sich der Berufsstand schwer, für die eigenen Rechte und beruflichen Rahmenbedingungen einzutreten und zu zeigen: Gute Pflege kostet Geld und braucht mehr Aufwertung. „Studien zeigen, dass Pflegepersonen sich folgende Maßnahmen wünschen: Mehr Zeit für gute Pflege durch mehr Personal, mehr Wertschätzung (auch vonseiten der Führungskräfte), bedarfsgerechte Personalbemessung, verlässliche Arbeitszeiten, Planbarkeit, höhere Bezahlung sowie Aufstiegsmöglichkeiten.“ Nur so kann langfristig qualitätsvolle Pflege sichergestellt werden, eine mit Herz und Verstand, wie es bereits Cicely Saunders, Krankenschwester sowie Begründerin der modernen Hospizbewegung und der Palliative Care, betonte.