Das Blatt ist 147 x 250 mm groß, sein Entstehungsort ist unbekannt, aber man kennt sein Alter – und das ist beachtlich: Aus dem Jahr 260 v. Chr. stammt das kürzlich an der Universität Graz entdeckte Doppelblatt. Als „Grazer Mumienbuch“ wurde es in den Medien bezeichnet und obwohl es nur ein Blatt ist, das eben Teil eines Buches war, ist der Fund eine Sensation.
Das Mumienbuch – eine Sensation
Theresa Zammit Lupi ist Restauratorin an der Universität Graz. Sie stieß bei Routinearbeiten am 11. Mai auf das Papyrus aus dem 3. Jahrhundert vor Christus. Die Relevanz ihres Fundes war ihr sofort bewusst: „Dass es etwas unglaublich Wichtiges war, habe ich innerhalb von Sekunden bemerkt. Zuerst ist mir der Faden aufgefallen, der noch im Papyrus steckt und aus der bemalten Gipsschicht herausragt. Dann habe ich das Fragment umgedreht und plötzlich war es da, ganz offensichtlich: ein Doppelblatt, wie man es aus einem Buch kennt, mit einem zentralen Falz, Löchern für eine Heftung, Text mit einem klar definierten Layout, und eben einem Fadenrest, der erhalten geblieben ist.“
Genau diese Struktur ist es auch, die den Fund so besonders macht und nicht etwa der Inhalt: „Die griechische Schrift auf dem Papyrus notiert Rechnungen zu Steuerabgaben für Bier und Öl. Es ist ein ganz normales, alltägliches Dokument aus dieser Zeit und wurde nur durch Zufall erhalten. Was daran so wichtig ist, ist eben das Materielle, also die Hinweise auf die Struktur in Buchform.“ Somit ist der Fund das erste erhaltene Beispiel eines Buches in der Form, wie wir heute Bücher kennen.
Umhüllung einer Mumie
Interessant ist auch, dass das Fragment gemeinsam mit einer Mumie gefunden wurde. Diese ägyptische Mumie wurde 1902 in El Hiba (südlich von Fayum) ausgegraben. Über ihren Weg nach Graz sagt die Restauratorin: „Das Papyrusfragment, das ursprünglich Teil eines Notizbuchs war, war bei der Herstellung der Mumienumhüllung (‚Kartonage‘) recycelt worden. Weil die Stadt Graz die Ausgrabungen zum Teil finanziert hat, wurden 52 Papyrusfragmente als Dank nach Österreich geschickt und dann 1904 an die Universität Graz weitergegeben. Wegen seines Inhalts wurde das Fragment katalogisiert und digitalisiert, aber bisher hat niemand bemerkt, dass es Teil eines Notizbuchs gewesen ist – zumindest nicht bis zum 11. Mai!“
Papyrusfragmente werden oft in Mumien gefunden, so die Expertin weiters, da deren Umhüllungen oft aus einer Mischung aus Gips, Stoff und eben Papyrus hergestellt wurden. „Es gibt tausende erhaltene Kartonagefragmente aus Papyrus aber bisher hat keines Spuren einer vorherigen Verwendung als Dokument in Buchform aufgewiesen.“
Buchgeschichte neu schreiben
Die Geschichte des Buches wird nun dank dieser Entdeckung neu geschrieben werden müssen: „Die bisher ältesten erhaltenen Beispiele von geschriebenem Text in Buchform sind auf die ersten beiden Jahrhunderte nach Christus datiert. Unser Fragment ist diesen um 400 Jahre voraus, was bestätigt, dass es die Buchform schon viel früher gegeben hat als wir bis jetzt dachten.“ Lange nahm man an, dass in vorchristlicher Zeit nur auf Rollen oder losen Blättern geschrieben wurde und dass sich die Buchform erst gemeinsam mit der Verbreitung des Christentums entwickelte. „Diese Theorie muss jetzt aber umgedacht werden. Und diejenigen, die sich mit Buchgeschichte beschäftigen, müssen die Entstehung der Buchform neu untersuchen.“
Bücher untersuchen
Die Restauratorin schätzt an ihrer Arbeit die Vielseitigkeit: „Ich behandle Bücher und führe Reparaturen durch, beurteile den Zustand der Sammlungen und betreibe dazu auch administrative Arbeit, Öffentlichkeitsarbeit und Forschung. Am meisten mag ich, mit meinen Werkzeugen in der Hand Bücher zu reparieren oder zu untersuchen. Es macht mir sehr viel Spaß zu verstehen, wie Bücher hergestellt wurden und wie sie funktionieren.“