Sie versprechen nichts weniger als den gesunden, glücklichen und produktiven Menschen: Mobile Health Apps und Gadgets, die gerade in den USA ihren Durchbruch feiern. Gemessen wird dabei alles, was der menschliche Körper zur Verfügung stellt. Gehirnströme, Ruhepuls, natürlich die täglich absolvierte Schrittzahl sowie der Körperfettanteil. Die neue Generation an Health Apps sagt den Nutzern aber auch, wie sie sich wirklich fühlen oder wie viel Sonnenschein sie heute noch brauchen, um glücklich zu sein.
Apps haben es auf unseren Schweiß abgesehen
Und: die Apps haben es auf unseren Schweiß abgesehen. Darin lesen neue Gadgets Elektrolythaushalt, Muskelbelastung und Flüssigkeitszufuhr. Die Hülle des Smartphones wird zum mobilen EKG-Gerät und ein kleiner Knopf im Ohr säuselt zärtlich – und in Echt-Zeit – Ernährungstipps ins Ohr und erinnert an das Glas Wasser, das eigentlich schon vor 43 Minuten hätte getrunken werden sollen. Der nächste Schritt der digitalen Selbstvermessung steht bevor. Doch wem nutzt sie? Hilft sie uns, uns tatsächlich besser kennenzulernen? Besser mit unserem Körper hauszuhalten? Oder hat die Datenkrake bloß ein sexy neues Kleid gefunden und Versicherungen und Banken scharren schon in Vorfreude auf diese neuen Gesundheitsdaten? Am 29. Jänner 2015 findet im Haus der Musik eine Diskussion zum Thema statt. Mit dabei ist Eugenijus Kaniusas, der die Arbeitsgruppe Biomedizinische Sensorik am Institute of Electrodynamics, Microwave and Circuit Engineering an der Technischen Universität Wien leitet. Schrödingers Katze hat ihn um seine Meinung zum Thema befragt. Wir bringen das Interview mit Eugenijus Kaniusas in zwei Teilen. Hier Teil eins.
Herr Kaniusas, wohin geht der Trend bei Health Gadgets? Was sind die Killer-Apps, die neue Geräte unwiderstehlich machen sollen?
Es geht in die Richtung ubiquitäres unauffälliges Monitoring, einschließlich Diagnostik und Therapie. Jene Nutzer, die Health Gadgets nicht unbedingt brauchen, benötigen auch einen gewissen Unterhaltungsfaktor (wie beim Zählen von Schritten), während jene Nutzer die darauf angewiesen sind, vor allem die primäre Funktion zu schätzen wissen, wie etwa das Glukose-Monitoring bei Diabetikern. Meines Erachtens, stehen die Killer-Apps noch aus, da es noch einerseits an der Verlässlichkeit des physiologischen Monitorings und anderseits am überzeugenden Nutzen und Spaß für die große Mehrheit hapert. Zudem müssten dabei halbwegs dynamische physiologische Größen erfasst bzw. abgebildet werden, denn statische Werte, wie z.B. Sauerstoffsättigung des Blutes, weisen zu geringe Dynamik auf und somit auch einen zu geringen Informationsgehalt wie auch Unterhaltungsfaktor.
Welche technologischen Neuerungen stecken hinter dem Boom? Gibt es da eine neue Technologie oder wurden, wie von Apple vorgezeigt, bestehende Technologien neu verquickt?
Beides trifft zu. Fortschreitende Technik sowie deren breite und vor allem günstige Verfügbarkeit erlauben neuartige Ansätze, wie z.B. einen Spiegel an der Wand, der Ihre Herz- bzw. Atemrate kontaktlos anzeigt und damit Ihre Aufregung signalisiert. Zudem werden viele bereits erfundenen Technologien „wiedergeboren“, etwa die Blutdruckmessung mittels Pulse-Transit-Time, eine Technologie aus den 1970er Jahren.
Datenschützer schlagen natürlich Alarm, sie munkeln vom Big Brother am Handgelenk. Manche haben Angst, dass daraus ein virtueller Gesundheits-Datenspeicher wird, der in Zukunft mitbestimmen könnte, welche Versicherung ich bekomme, ob ich einen Kredit bekomme oder ob ich dem Staat mehr koste als der Durchschnitt, was gravierende Folgen haben könnte. Berechtigte Sorgen?
Durchaus berechtigte Sorgen, denn persönlicher geht es gar nicht mehr. Physiologische Daten und noch dazu verkoppelt mit einem Orts- und Zeitstempel sprechen Bände. Wie gut man nachts schläft, wieviel und wann man sich am Tage bewegt, wie oft man sich aufregt und das vielleicht in der Arbeit, wo ja durchwegs konstruktive Entscheidungen verlangt werden, all dies sind die Fragen, die zukünftig seitens Health Gadgets – getragen für 24 Stunden/7 Tage der Woche – objektiv beantwortet werden könnten.
Meistens/leider kann sich der echte Stakeholder von Health Gadgets – der Mensch im weitesten Sinne – bestimmte Gadgets nur wünschen. – Eugenijus Kaniusas
Welche für Sie validen Argumente bringen denn die Entwickler und die Softwarefirmen ein, also, was spricht für Health Gadgets?
Der Erfindergeist ist nicht zu stoppen, sei es im wissenschaftlichen Interesse seitens (universitärer) Forscher oder im wirtschaftlichen Interesse zum Lukrieren zukünftiger Einnahmen. Zudem spielt der Kostenfaktor in der Gesellschaft eine zunehmend wichtigere Rolle, welchen es durch die Health Gadgets zu optimieren/reduzieren gilt. Man denke dabei an kostspielige Überwachung von chronisch Kranken wie auch gebrechlichen Personen. Meistens/leider kann sich der echte Stakeholder von Health Gadgets – der Mensch im weitesten Sinne – bestimmte Gadgets nur wünschen.
Wie halten Sie’s persönlich, Fan oder Skeptiker?
Natürlich Fan, jedoch die Sinnhaftigkeit solcher Systeme hinterfragend, womöglich eine Berufskrankheit
Welche Geräte nutzen sie und wie haben sie ihren Alltag oder gar ihr Gesundheitsbewusstsein verändert?
Dauerhaft am Körper verwende ich keine. Vielmehr versuche ich durch den Tag hindurch auf die innere Stimme zu hören und ihr Genüge zu tun – mit den Jahren wird diese Stimme immer lauter… Wir haben doch so viele Sensoren im Körper, die nur darauf warten, beachtet zu werden. Zudem suche ich immer wieder mein physiologisches Labor zur quantitativen Erfassung meiner momentanen physiologischen Werte auf. Der eigene Alltag wird schon verändert, wenn man über das eigene Befinden Bescheid weiß, keine Frage.
Sind die Menschen gelangweilt von der Vermessung der externen Welt und machen sich nun ans Eingemachte?
Ich glaube es nicht, denn das Selbstbewusstsein eines modernen Menschen ist sehr ausgeprägt, wodurch er auch ein großes Interesse am eigenen Befinden hegt. Die aktuellen Nöte der chronisch Kranken und teilweise isolierten Personen habe ich bereits erwähnt. Oft, wenn sie ihren eigenen physiologischen Status brauchen, haben sie keinen Arzt in der unmittelbaren Nähe. Routineaufgaben sollen von den Health Gadgets übernommen werden, keine Entscheidungen. Während die jüngere Generation einen großen Wert auf die Unterhaltung seitens Health Gadgets legt, verlangt die erwachsene/ältere Generation vorwiegend aussagekräftige Ergebnisse von der „Vermessung der inneren Welt“ – so heißt übrigens auch meine Lehrveranstaltung an der KinderUni TU Wien.
Hat der ganz große Sprung im Bereich Health Gadgets eigentlich schon stattgefunden oder wird der erst kommen?
Ich glaube, dieser Sprung kommt erst …
Wann erwarten Sie den technologischen Dammbruch?
Die Technologie ist nicht das einzige was dazu nötig ist. Der Gesetzgeber muss auch vorher Grenzen gesetzt haben und der Nutzer muss auch bereit sein diese Technologie zu verwenden und ihre rechtlichen Grenzen zu akzeptieren.
Die Podiumsdiskussion „Health Gadgets: Wie digitale Lebensretter unseren Alltag beeinflussen“ findet am 29. Jänner 2015 von 19:30 – 21:00 Uhr im Vortragssaal (Dachgeschoß) im Haus der Musik, Seilerstätte 30, 1010 Wien statt.
Bei Interesse kann man sich hier anmelden.
Im zweiten Teil des Interviews mit Eugenijus Kaniusas geht es morgen um den fitten Menschen der Zukunft, die Hoffnungen der Pharmaindustrie und um Diätassistenten im Ohr.