Das Stresshormon Kortisol wird in der Nebennierenrinde gebildet und ist an vielen Stoffwechselvorgängen beteiligt. Bei Stress wird es vermehrt ausgeschüttet. Kurzfristig kann Kortisol zu Leistungssteigerungen führen, ist der Kortisolspiegel jedoch über einen längeren Zeitraum erhöht, kann dies negative Effekte haben. Dazu zählen etwa Infektanfälligkeit, erhöhter Blutdruck, Schlafstörungen, Angst, Stimmungsschwankungen – und Depressionen. Bereits bisherige Studien konnten nachweisen, dass an Depressionen erkrankte Menschen einen erhöhten Kortisolspiegel aufweisen.
Eine Forschungsgruppe rund um Alexander Karabatsiakis vom Institut für Psychologie der Universität Innsbruck verglich nun Haarproben von psychisch stabilen Personen mit denen von Personen mit akuter depressiver Episode. Den Forscher*innen stellte sich anfangs die Frage, wie sie Haarproben von an Depressionen Erkrankten erhalten können: Schnell kam dabei der Gedanke auf, die Haare von Personen zu analysieren, die durch Suizid gestorben sind. Daher schlossen die Forscher*innen sich mit Rechtsmediziner*innen der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) zusammen und erhielten – nach Genehmigung der zuständigen Ethikkommission – Haarproben aus der Rechtsmedizin der MHH. „Die gesammelten Haarproben wurden verblindet (keine Gruppenzugehörigkeit bekannt), labortechnisch ausgewertet und statistisch miteinander verglichen“, erklärt Alexander Karabatsiakis den Ablauf der Studie.
Erhöhter Kortisolspiegel
„Es zeigte sich im Vergleich zu den Kontrollpersonen eine um das 1,6-fache signifikante Erhöhung des Kortisol in den Haaren von Studienteilnehmer*innen mit akuter Depression. Im Vergleich dazu waren die Kortisolwerte im Haar von Personen nach Suizid noch einmal im Mittel um das 3,3-fache erhöht im Vergleich zur Akutdepression, und 5,5-fach höher als bei der Kontrollgruppe“, fasst Alexander Karabatsiakis das Studienergebnis zusammen.
Stress löst im Körper Reaktionen aus, chronischer Stress kann sich dabei sowohl auf den Körper als auch psychische Prozesse negativ auswirken, wie der Experte betont: „Hierzu zählen auch Emotions- und Kognitionsprozesse. Aus elektrophysiologischen Studien mit EEG (Anmerkung: Elektroenzephalographie) ist bereits bekannt, dass Personen bei akuter Suizidalität nur noch eingeschränkt in der Lage sind, Konflikte und Fehler zu erkennen. Diese Art kognitiver Verzerrung könnte in zukünftigen Untersuchungen genutzt werden, um mehr Instrumente zur Risikoevaluation zu erarbeiten und diese dann klinisch bereitzustellen.“
Künftige Forschung zu Kortisol
Den Kortisolspiegel im Haar zu messen, ist relativ einfach. Künftig könnte dies auch in einer Praxis für Allgemeinmedizin geschehen. Alexander Karabatsiakis betont aber die Notwendigkeit weiterer Studien und appelliert an die Medizin, verstärkt auf Prävention zu setzen. Auch die Politik sieht er in der Verantwortung, denn es braucht Know-how sowie kritische Infrastruktur für weitere Forschung. Für diese gibt es laut Karabatsiakis bereits weitere Ansätze: „Der erste Ansatz bedingt die Replikation unserer Erstbeobachtung in einem deutlich größeren Kollektiv. Hieraus könnte dann auch versucht werden, Risikoprofile zu schärfen. Im zweiten Ansatz sollten diese Profile dann auch in einem klinischen Kontext getestet werden, um zu überprüfen, ob sich mit der erfolgreichen Behandlung das körperliche Stresshormonprofil auf ein medizinisch vertretbares Profil senken lässt.“
Hilfe für Betroffene:
Kriseninterventionszentrum: 01 406 95 95
Sozialpsychiatrischer Notdienst: 01 31 330 (täglich von 0 bis 24 Uhr)
Psychotherapie Helpline – Wiener Landesverband für Psychotherapie: 0720 12 00 12 (täglich von 8 bis 22 Uhr)
Helpline vom Berufsverband Österreichischer PsychologInnen: 01 504 8000 (Montag bis Donnerstag von 9 bis 13 Uhr)
Ö3 Kummernummer: 116 123 (Montag bis Sonntag von 16 bis 24 Uhr)
Telefonseelsorge Wien: 142 (täglich von 0 bis 24 Uhr) oder Online-Beratung