Vor der Corona-Pandemie nutzten 71 % der Wiener Bevölkerung öffentliche Verkehrsmittel, in anderen Bundesländern – wie etwa Tirol – waren es jedoch nur 21 % (Quelle: VCÖ). Ein großer Unterschied also und ein Thema, das uns noch zukünftig beschäftigen wird, denn der Verkehrssektor ist eine der Hauptverursacher für Treibhausgasemissionen. Mobilität muss nachhaltiger werden – und das für möglichst viele Menschen, in der Stadt und am Land. An der Universität für Bodenkultur (BOKU) beschäftigt sich Roman Klementschitz mit Verkehrsplanung, Mobilitätsverhalten und öffentlichem Verkehr. Im Zuge von SMACKER erarbeitete er mit Kolleg*innen Strategien für grüne, bedarfsorientierte Mobilität in ländlichen Regionen. SMACKER startete seine Aktivitäten im Jahr 2019 in diesen sechs europäischen Ländern: In der Region Bologna-Apennin (Italien), der Stadt Gdynia (Polen), in Praha-Suchdol (Tschechische Republik), dem ländlichen Gebiet der Region Pomurje (Slowenien), der Stadt Budapest (Ungarn) und in der Region Osttirol (Österreich). Für Österreich waren sowohl die Universität für Bodenkultur (BOKU) als auch das RegionsManagement Osttirol Projektpartner. Für die Region Osttirol umfasste das Projekt drei Aspekte: Sozialwissenschaftliche Begleitung, Information über Mobilitätsangebote und E-Carsharing sowie Stärkung der E-Mobilität.
Bisheriger Fokus
Die Mobilität in Osttirol sei bisher sehr auf den Privat-PKW fokussiert gewesen, erklärt Roman Klementschitz, und darauf haben sich auch die räumlichen Strukturen angepasst. „In den letzten 20 Jahren etwa hat aber ein Umdenkprozess begonnen. Wo möglich – auf den Hauptachsen – hat man den öffentlichen Verkehrs ausgebaut (und baut diesen auch weiter aus)“, so Klementschitz. Dennoch bleiben „weiße Flecken auf der Karte Osttirols“. Klassischer öffentlicher Verkehr sei in so einem Fall wirtschaftlich schlecht argumentierbar, doch auch aus ökologischer Sicht sei es nicht ideal, einzelne Personen mit einem Bus, der für 50 Menschen ausgelegt ist, zu transportieren. „Daher braucht es Lösungen, die diesen Nachfragemengen entgegenkommen und wirtschaftlich sowie ökologisch Sinn machen“, fasst Klementschitz die Herausforderungen zusammen. Es wurden daher Pilotprojekte gestartet: „Das sind bedarfsgesteuerte Linienverkehre mit kleineren Fahrzeugen wie zum Beispiel das Def-Mobil, Sammeltaxisysteme innerhalb von Gemeinden wie E-defMobil 2.0 in St. Veit oder das Virger Mobil und ein E-Car-Sharing-Angebot mit möglichst vielen dezentralen Standorten in den Ortskernen wie Flugs E-Carsharing.“ Neu entstanden ist auch die Website „Mobil in Osttirol“, die über sämtliche Mobilitätsangebote der Region informiert. Schlussendlich wurden weitere Angebote, wie Mobilitätstrainings für Rezeptionist*innen und Aktionen an Schulen, entwickelt.
Finanzielle und politische Bereitschaft
Die Benützung eines eigenen PKWs wurde lange Zeit als Standard gesehen. Man dürfe sich daher nicht erwarten, „dass gegensteuernde Maßnahmen im Bereich der Mobilität gleich zum Selbstläufer werden“; es benötige Geduld und vor allem die finanzielle und politische Bereitschaft, damit sich alternative nachhaltige Angebote zum PKW etablieren können, erinnert Klementschitz. Im Angesicht von steigenden Energiekosten und den stärkerer spürbaren Auswirkungen des Klimawandels ist nachhaltiger Verkehr jedoch kein Nischenthema mehr. Aktuell richten sich laut dem Experten viele Maßnahmen an Menschen, die keinen Zugang zu einem eigenen PKW haben, längerfristig braucht es jedoch eine „Verschiebung der Fahrgastgruppen“: Es soll somit all jenen der öffentliche Verkehr schmackhaft gemacht werden, die für die Fahrt auch einen privaten PKW zur Verfügung gehabt hätten. Für Klementschitz ist es daher bedeutend, den Kontakt zu den Verkehrsnutzer*innen zu suchen, über neue Mobilitätssysteme aufzuklären und zu deren Nutzung zu motivieren. „Man darf von Seiten der Anbieter bzw. Finanzierer nicht erwarten, dass diese Gruppen ihr gewohntes Mobilitätsverhalten täglich hinterfragen und auf Webseiten nach alternativen Angeboten suchen. Es ist also auch eine Bringschuld, die Angebote an die Zielgruppe zu bringen. Dafür fehlen leider oft die Verantwortlichen.“ Der Experte schlägt daher eine/n „Mobilitätskoordinator*in“ vor.
Unterschiede zwischen Stadt und Land
Beim Thema Mobilität werden oft die Unterschiede zwischen Stadt und Land angesprochen. Roman Klementschitz fasst diese folgend zusammen: „Im urbanen Bereich ist der Treiber der Maßnahmen eher, wie man große Mengen an Personen umweltschonend und raumsparend transportieren kann. In ländlichen Regionen – von punktuellen neuralgischen Punkten einmal abgesehen – stellt sich eher die Herausforderung, mit welchen Systemen, kann ich auch geringere Verkehrsmengen, kostengünstig und ökologisch effizient transportieren? Wie kann ich Lücken im nachhaltigen Mobilitätsangebot – sowohl räumlich als auch zeitlich – schließen?“ Eine solche Lücke verursache oft die Entscheidung zugunsten des privaten PKWs. Restriktionen für PKW-Nutzer*innen seien am Land jedoch selten, daher gebe es hier sicherlich noch viel zu unternehmen, ums gleichzeitig solche Einnahmen für die (Weiter-)Entwicklung alternativer Verkehrsangebote zu nutzen, so Klementschitz.
Verkehr der Zukunft
Roman Klementschitz wagt einen Blick in die Zukunft des Verkehrs: Er erwartet sich, dass Projekte wie SMACKERS ihre Nische verlassen und von breiten Schichten der Bevölkerung als gleichwertige Alternative zur Nutzung des privaten PKWs angesehen werden. Zudem sieht er eine verstärkte Unterstützung vonseiten der Gemeinden hinsichtlich der Forcierung nachhaltiger Mobilität. Diese werde künftig einfacher zu organisieren sein: „Die unterschiedlichen Verkehrsangebote werden auf Plattformen verknüpft angeboten werden und können dadurch auch leichter kombiniert werden. Man kann eine Reise aus einer Hand buchen, inklusive Bahn, Stadtbus, Bedarfsbus, Car-Sharing etc. und das für den gesamten EU-Raum – ähnlich wie es schon heute für Flugtickets inkl. Mietauto weltweit funktioniert.“ Zudem sieht der Experte eine Weiterentwicklung der Antriebstechnologie auf uns zukommen: Elektrische Antriebe werden dominieren und schlussendlich erwartet Roman Klementschitz einen Anstieg des nichtmotorisierten Verkehrs.