Smartphones haben unsere Welt auf den Kopf gestellt: 1999 wurde der Begriff erstmalig (von der Firma Ericsson) verwendet, 2007 präsentierte Steve Jobs das erste iPhone und nun im Jahr 2022 ist eine Welt ohne Smartphones nicht mehr vorstellbar. Zwischendurch das Wetter oder Social Media-Updates checken, Mails schreiben, Musik hören – und (gute) Fotos schießen. Besonders die in den Geräten verbauten und mit der Zeit immer besser gewordenen Kameras haben unsere (Bild-)Welt verändert. Musste man früher noch eine Spiegelreflexkamera bei sich haben, um gute Fotos zu machen, reicht heuten vielen das eigene Smartphone für Selfies & Co. Google liefert über 74 700 000 Ergebnisse, wenn man die Begriffe „Smartphone“ und „Fotografie“ gemeinsam eingibt, denn viele fragen sich: Wie kann ich meine mit dem Smartphone-Fotos noch besser gestalten? Forscher*innen der Universität Wien rund um den Psychologen Helmut Leder haben sich genau dies angesehen und haben ein theoretisches Modell der Bildästhetik entwickelt.
Fotoästhetik: Mehrere Variablen
Mit ihrer Arbeit wollten sie die Variablen finden, die dazu beitragen, warum wir digitale Bilder schön finden, so Helmut Leder. Obwohl es bereits einige Forschung über die Merkmale von attraktiven (digitalen) Bildern gebe, sei ihnen jedoch klar geworden, dass die Frage der Attraktivität eines Bildes gar nicht am einzelnen Bild zu entscheiden sei, da eben mehrere wichtige Variablen miteinbezogen werden müssen. „Folglich enthält unser Modell neben einer Beschreibung von relevanten Dimensionen des Bildes besonders eine Klassifikation des Bildgegenstandes, also ob es sich beispielsweise um ein Gesicht, eine Landschaft, ein tolles Essen, oder eine Gruppe von Personen handelt, weil für unterschiedliche Genres unterschiedliche Merkmale relevant sind. Darüber hinaus unterscheiden wir, ob man das Bild schnell beurteilt, also ob man am Smartphone zum Beispiel einfach wegwischt, oder ob man sich auf das Bild einlässt, es länger betrachtet und somit zu einer echten ästhetischen Erfahrung kommt. Dazu diskutieren wir zum Beispiel dann noch die motivationalen Zustände der betrachtenden Person, was sie mit dem Bild zukünftig beabsichtigt, und auch kulturelle Unterschiede“, erklärt Leder weiters.
Farbe, Kontrast und Beleuchtung
Unser Ästhetikempfinden unterscheidet also danach, um welche Art von Foto es sich handelt: „Und dann kommt natürlich dazu, dass für bestimmte Bildklassen unterschiedliche Merkmale relevant sind, so sind bei Portraits und Selfies klar die Gesichter im Vordergrund, und müssen scharf sein wenn der Hintergrund das vielleicht nicht sein muss. Ähnliches gilt vielleicht auch für Bilder von Mahlzeiten, während bei Landschaften das Verhältnis vielleicht genau umgekehrt ist.“
Es spielen also verschiedene Faktoren eine Rolle, wie etwa Farbe, Kontrast und Beleuchtung, aber auch die eigene Erinnerung. Das theoretische Modell der Forscher*innen wurde in der Fachzeitschrift Frontiers in Psychology veröffentlicht. Bei der Betrachtung eines Bildes kommt es zu einer Abfolge von kognitiven Verarbeitungsprozessen: Wir erfassen innerhalb von Sekundenbruchteilen wesentliche Aspekte eines Fotos und dann spielen eben Merkmale wie Farbe, Kontrast und Beleuchtung eine Rolle – allein diese Merkmale entscheiden darüber, ob wir ein Foto als attraktiv wahrnehmen oder nicht. Auch Symmetrie, Komplexität oder Bildausschnitte sind von Bedeutung oder auch eigene Erinnerungen und Erfahrungen.
Fotos vs. Kunst
Gibt es hinsichtlich unserer ästhetischen Vorlieben Überschneidungen dazu, wie wir Kunstwerke oder Gesichter beurteilen? Helmut Leder verweist darauf, dass unser ästhetischer Sinn sich wohl im Laufe der Evolution funktional für die Erkennung attraktiver Gesichter herausgebildet hat. „In diesem Sinn wäre dann Gesichtsschönheit so etwas wie ein Prototyp für das Schönheitsempfinden, und die Frage ist, inwieweit dieses auf Kunstwerke übertragbar ist. In früheren Studien haben wir zum Beispiel gefunden, dass die Übereinstimmung zwischen Personen bei der Beurteilung der Schönheit von Gesichtern größer ist, als bei der Beurteilung der Schönheit abstrakter Kunst.“ Gerade bei abstrakter Kunst spiele der individuelle Geschmack eine wichtige Rolle. Zudem habe die bisherige Forschung gezeigt, dass ästhetische Erlebnisse von Kunst extrem vielfältig seien.
Aktuell führt das Team rund um Helmut Leder Online-Experimente durch, um die Entscheidungen von Smartphone-Nutzer*innen und deren Foto-Vorlieben besser verstehen zu können. Das Projekt, das unter den Forschungsschwerpunkt „Psychologie der Ästhetik“ fällt, hat starke interdisziplinäre Züge und ist am Cognitive Science Hub der Universität Wien angesiedelt.