Viele Eltern mit Lernschwierigkeiten machen diskriminierende Erfahrungen. Sie berichten von Unterschätzung und Vorurteilen. „Ihnen wird oft zugeschrieben, sie seien unfähig, ihre Kinder eigenständig großzuziehen“, sagt Rahel More vom Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.
In ihrer Studie analysierte More Erwartungen und Normen in Bezug auf Elternschaft und Behinderung anhand von Diskussionen im Internet. Und sie führte Interviews mit Fachkräften in der Sozialen Arbeit. Nicht zuletzt ließ sie Betroffene zu Wort kommen: Mütter und Väter mit Lernschwierigkeiten.
„Trauer über Trennung vom Kind groß“
Doch was macht es mit Eltern, die ohnehin schon mehr Herausforderungen haben als andere, wenn sie sich ständig beweisen müssen? „Die Beobachtung der Kinder- und Jugendhilfe beginnt oft schon während der Schwangerschaft“, so More. Mütter berichteten zudem von Angehörigen, die sie zu einem Abbruch drängen wollten.
Manchen Eltern werde ihr Kind unmittelbar nach der Geburt weggenommen – ohne, zuvor Unterstützung anzubieten. Und obwohl das UNO-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vorsieht, dass eine Behinderung nicht der Grund für eine Trennung sein darf. Für die meisten Eltern sei „die Trauer darüber groß und schwer zu bewältigen“.
Die Macht der Fachkräfte
Jene Eltern, die mit ihren Kindern zusammenleben können, sprachen in den Interviews oft „von der Nähe zu ihren Kindern, von gemeinsamen Aktivitäten, und von den Werten, die sie ihren Kindern vermitteln möchten“. Den Eltern sei die Macht der Fachkräfte in ihrem Leben aber sehr bewusst, so More: „Sie versuchen deren Anforderungen zu entsprechen.“
Unterstützung durch Fachkräfte sei aber ein wichtiger Faktor für selbstbestimmte Elternschaft, so More. Eltern mit Lernschwierigkeiten hätten zudem ein Recht darauf. Meist mangle es aber an passenden Angeboten. Was sich Eltern wünschen: Unterstützungsangeboten, die „flexibel, niederschwellig und selbstbestimmt in Anspruch genommen werden können“.
„Anleitung statt Bevormundung“
So habe etwa eine befragte Mutter von Fachkräften erzählt, die miteinander kooperierten und sich respektvoll ihr und ihrem Kind gegenüber verhielten. Sie sei zudem aktiv in die Unterstützung bei der Kindererziehung eingebunden worden, und habe selbst entscheiden können, wie oft in der Woche die Fachkräfte zu ihr nach Hause kamen.
„Diese Mutter nahm die Unterstützung, die sie erhielt, als passend wahr“, sagt More. Anleitung statt Bevormundung und Selbstbestimmung statt Kontrolle – das brauche es aus Elternsicht. Ein weiterer Punkt: Viele Angebote richten sich vor allem an Mütter: „Dadurch wird den Müttern die Hauptverantwortung für die Kindererziehung zugeschrieben, und Väter werden ausgeschlossen“.
Buchhinweis
Rahel More (2021). Disability, Elternschaft und Soziale Arbeit. Zur Bedeutung von Zuschreibungen, Fremdwahrnehmungen und Selbstverständnissen für Eltern mit Lernschwierigkeiten.
Schriftenreihe der ÖFEB-Sektion Sozialpädagogik, Band 7. Leverkusen-Opladen: Verlag Barbara Budrich GmbH.