Im Mai schaffte es das zweitgrößte Schelfeis der Antarktis, das Filchner-Ronne-Schelfeis, in die Schlagzeilen: Mit einer Fläche von 4.300 km2 war der größte bisher beobachtete Eisberg von der riesigen Eisplatte abgebrochen. Das Schelfeis umfasst circa 490.000 km2und ist damit etwa so groß wie Spanien.
Dass Kalben von Eisbergen sei „ein ganz normaler und natürlicher Vorgang“, der nicht mit dem Klimawandel zusammenhänge, sagt Elisabeth Schlosser, Meteorologin am Institut für Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften der Universität Innsbruck.
Heißwasserbohrungen durch das Schelfeis
Zusammen mit einem internationalen Team um den Polarforscher Tore Hattermann vom Norwegischen Polarinstitut untersuchte Schlosser die Auswirkungen atmosphärischer Bedingungen auf die Meereszirkulation unter dem Schelfeis.
Die Forscher*innen konnten erstmals einen Zusammenhang zwischen Windströmungen und dem Schmelzen an der Unterseite des Schelfeises belegen. Mehrjährige Messreihen mit Daten aus fünf Heißwasserbohrungen lieferten die Grundlage für ihre Studie, die nun im Fachmagazin Nature Communications veröffentlicht wurde.
Ein besseres Verständnis der komplexen Vorgänge unter dem Schelfeis sei für die Beurteilung des Meeresspiegelanstiegs von großer Bedeutung, so die Meteorologin. Wesentlich sei der Faktor Salz: „Beim Gefrieren von Meerwasser kann das Salz nicht in die Eiskristalle eingebaut werden. Das salzige, schwere Wasser sinkt ab. Südliche Winde können das frische Meereis nach Norden transportieren. Dabei entstehen freie Wasserflächen, an denen wiederum Meereis gebildet wird. Meereisbildung nördlich des Schelfeises führt so zu einer Intensivierung der Zirkulation unter dem Schelfeis.“
Die Messungen zeigten: Während Perioden mit südlichen Winden blockierte die Zirkulation unter dem Schelfeis das Einfließen von warmem Wasser. Eher nördliche Winde hatten den gegenteiligen Effekt. Das Einfließen von warmem Meerwasser hätte ein verstärktes Abschmelzen an der Unterseite des Schelfeises zur Folge, so Schlosser.
Die aktuellen Klimamodelle seien noch nicht in der Lage, die atmosphärische Zirkulation so genau zu berechnen, dass man auch die Folgen für das Schelfeis beurteilen könnte. Doch die neue Studie liefert erstmals einen Mechanismus, mit dem – „sobald die atmosphärischen Berechnungen vorliegen“ – das Abschmelzen des Schelfeises beurteilt werden kann.
Achillesfersen des Eisschildes
Schelfeise wie das Filchner-Ronne-Schelfeis entstehen, wenn Gletscher über die Küste hinausfließen und auf dem Meer schwimmen, aber noch mit dem Land verbunden sind. Sie stabilisieren den mehrere Kilometer dicken Eisschild dahinter, gelten aber auch als seine Achillesferse.
Schlosser erklärt warum: „Ein sich erwärmender Ozean kann zu raschem Abschmelzen an der Unterseite der Schelfeise führen. Mittelfristig hätte das eine Destabilisierung des Eisschildes zur Folge. Und das würde bedeuten, dass der antarktische Eisschild rascher an Masse verlöre, was sich wiederum auf den Meeresspiegel auswirken würde.“