Ein Laternenpfahl, unerwartete Stufen oder ein Lieferwagen, der den halben Gehsteig blockiert: Menschen mit Sehbehinderung können im Alltag ganz schön vielen Hindernissen begegnen. Ein kamerabasiertes Assistenzsystem, das in Schuhen eingesetzt wird, soll helfen.
Schon vor einiger Zeit brachte die niederösterreichische Firma Tec-Innovation Schuhe auf den Markt, die mittels Ultraschallsensoren an der Schuhspitze vor Hindernissen warnen. Der Schuh namens „Innomake“ erkennt Hindernisse in bis zu vier Metern Entfernung und warnt seine Träger*innen durch Vibration oder ein akustisches Signal.
Nur die Information, um welche Art von Hindernis es sich handelt, konnte der Schuh bisher nicht weitergeben. Weil es aber für eine blinde oder sehbeeinträchtigte Person einen großen Unterschied macht, ob sie vor einer Mauer, einem Hydranten oder einer Stiege steht, machten sich die Hersteller auf die Suche nach wissenschaftlicher Unterstützung – und fanden diese an der TU Graz.
Kamerabilder aus der Fußperspektive: Schuhe für Menschen mit Sehbehinderung
Der Informatiker Friedrich Fraundorfer und sein Team vom Institut für Maschinelles Sehen und Darstellen entwickelten ein kamerabasiertes KI-Bilderkennungssystem. Deep-Learning-Algorithmen erkennen und interpretieren den Bildinhalt. „Sie ermitteln aus Kamerabildern aus der Fußperspektive einen hindernisfreien und damit gefahrlos begehbaren Bereich. Und sie können Objekte erkennen und unterscheiden“, erklärt Fraundorfer.
Die Idee der Firma Tec-Innovation, Menschen mit Sehbehinderung stärker mit Technik zu unterstützen, sei gesellschaftlich sehr relevant, so der Informatiker. Immerhin gebe es in fast allen Bereichen des Lebens technische Unterstützung – für blinde und sehbeeinträchtigte Personen aber bisher nicht. „In unserer hochinnovativen Welt muss eine Alternative zum über 70 Jahre alten Blindenstock möglich sein.“
Der Algorithmus der TU Graz ist patentiert und wurde an Tec-Innovation übertragen. Das Unternehmen arbeitet nun an einem Prototyp, bei dem Kamera samt Prozessor in die Schuhspitze eingebaut sind. Dabei müssen auch ganz praktische Aspekte bedacht werden: robust muss die Verarbeitung sein und nicht zuletzt soll der intelligente Schuh auch bequem zu tragen sein.
Straßenkarte durch Schwarmwissen
Währenddessen tüfteln Fraundorfer und sein Team schon am nächsten Schritt: Die Informationen, die die Träger*innen der Schuhe für Menschen mit Sehbehinderung auf jedem Weg sammeln, sollen künftig auch anderen zur Verfügung stehen – als Streetviewkarte. Denn im Moment sei der Schuh „ein sehr situatives Kollisionswarnsystem“, sagt Fraundorfer. In Zukunft sollen die gesammelten Daten auch anderen Menschen als Navigationshilfe zur Verfügung stehen.
Sind Hindernisse, wie etwa Laternenpfähle am Gehweg, in einer Karte gespeichert, weiß man schon im Vorhinein, welcher Weg am sichersten zu begehen ist. Damit diese Idee umgesetzt werden kann, läuft derzeit ein Förderantrag bei der FGG, der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft.
Über die Forscher*in
Assoc.Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn. Friedrich Fraundorfer vom Institut für Maschinelles Sehen und Darstellen der TU Graz.