Im Mai 2001, also vor genau zwanzig Jahren, wurde das erste Kind anonym in Österreich geboren. Die Möglichkeit einer anonymen Geburt wurde damals geboten, um zu verhindern, dass Frauen, die ein Kind später etwa in einer Babyklappe abgeben wollen, ohne ärztliche Unterstützung zur Welt bringen müssen. Seither kann in allen geburtshilflichen Abteilungen ein Kind ohne Angabe der Identität und kostenfrei zur Welt gebracht werden. Zwischen 2001 und 2019 gab es insgesamt 606 anonyme Geburten (www.anonymegeburt.at), wovon 28 im Jahr 2019 erfolgten und zusätzlich zwei Abgaben in „Babyklappen“. Dank der Option der anonymen Geburt ging die Zahl der in Babyklappen abgegebenen Säuglinge deutlich zurück, ebenso wie die Zahl der Neugeborenen-Tötungen.
Mehrheitlich gut entwickelt
Kinder werden nach einer anonymen Geburt so rasch wie möglich in Adoptivfamilien untergebracht. Diese werden darauf vorbereitet, altersadäquat mit den Kindern über deren Adoptionsumstände zu sprechen. In mehreren Studien untersuchte die Kinder- und Jugendpsychiaterin Claudia Klier von der MedUniWien verschiedene Aspekte des Spannungsfeldes zwischen dem Recht der biologischen Mutter auf Anonymität und dem Recht der Kinder auf das Wissen um ihre Herkunft. Gemeinsam mit der Klinischen Psychologin Anna Felnhofer erforscht sie derzeit die Auswirkungen der anonymen Geburt auf die Kinder. In einer Studie vom Dezember 2020 („Anonymous birth: Biographical knowledge and dyadic coping in adoptive mothers and fathers“)„ wurden 97 Adoptiveltern zur Gesundheit ihrer adoptierten Kinder befragt. Es zeigte sich, dass die anonym geborenen Kinder mehrheitlich gut entwickelt waren und kaum psychische Auffälligkeiten im Vergleich mit der Norm hatten.
Mehr Stress
Der Fokus lag dabei auf der Qualität der elterlichen Beziehung und dem sogenannten „Dyadic Coping“ – der Fähigkeit der elterlichen Stressbewältigung. Man nimmt an, dass Adoptiveltern mehr Stressfaktoren ausgesetzt sind als leibliche Eltern. Dabei wurden kaum Unterschiede zwischen Adoptivmüttern und -vätern festgestellt. Tendenziell schätzten Mütter ihre Ängstlichkeit höher ein als Väter, zugleich bewerteten sie jedoch ihre Stressbewältigung als besser. Informationen über die anonym gebärende Frau in Form von biographischen Angaben, Briefen, Hinweisen auf medizinische Probleme, Fotos oder Spielsachen und Ähnlichem waren wenig vorhanden. Hinweise über den Grund der Abgabe lagen nur in der Hälfte der Fälle vor, Briefe der biologischen Mutter besaßen 35 Prozent der Adoptiveltern. Angaben zum biologischen Vater waren noch seltener verfügbar.
Wissen um die Wurzeln ist nach anonymer Geburt wichtiger Faktor
Felnhofer und Klier untersuchten außerdem, welche Einflüsse entscheidend für die Beziehungsqualität sind. Identifiziert wurden hier die psychische Gesundheit des Kindes, das Alter der Adoptiveltern, jenes der Kinder und das Vorliegen von Informationen zur biologischen Mutter. Anna Felnhofer: „Je besser es dem Kind geht, desto besser geht es auch den Eltern und umgekehrt. Ältere Adoptiveltern scheinen besser mit Stress umgehen zu können als jüngere. Je mehr Information darüber hinaus zur abgebenden Frau vorhanden ist, desto entlasteter sind die Adoptiveltern“. Claudia Klier ergänzt: „Das Wissen um die biologischen Wurzeln ist ein wichtiger Faktor. Eine Verbesserung der Durchführung der anonymen Geburt sollte hier ansetzen, indem den abgebenden Frauen die Wichtigkeit des Hinterlassens nicht identifizierbarer Informationen nähergebracht wird.“ So gibt es etwa in Frankreich eine unabhängige Stelle, die Informationen auch viele Jahre nach der Geburt von beiden Seiten entgegennimmt und es bei Wunsch beider Seiten zur Kontaktaufnahme kommen kann.
Über die ForscherInnen
Claudia Klier ist Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Fachärztin für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin und Psychotherapeutin (Psychodrama, Interpersonelle Psychotherapie). Ihre Schwerpunkte sind Prävention und Frühintervention bei psychischen Störungen. Sie ist Leiterin der Pädiatrischen Psychosomatik an der Kinderklinik der Medizinischen Universität Wien.
Anna Felnhofer ist Universitätsassistentin (post-doc) an der Pädiatrischen Psychosomatik der Medizinischen Universität Wien, Klinische Psychologin und Gesundheitspsychologin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind der Einsatz neuer Medien in der Pädiatrie (speziell: Virtuelle Realitäten, VR) und Ethik in der Pädiatrie.