Das Institut für Gerichtsmedizin an der Medizinischen Universität Innsbruck (GMI) genießt Weltruf bei der Auswertung von DNA-Spuren. Derzeit sollen die Wissenschafter die sterblichen Überreste der in Mexiko gefundenen Leichen, mutmaßlich ermordete Studierende, identifizieren. Mitochondrien – von einer Doppelmembran umschlossene Zellorganellen mit eigener Erbsubstanz – sind der Schlüssel zum Erfolg, wie Univ.-Prof. Dr. Richard Scheithauer, Direktor des GMI, Schrödingers Katze verrät.
Wie kam der Kontakt zu den Behörden in Mexiko zustande?
„Wir haben auf dem Spezialgebiet der Identifikation von schwierigen Proben international einen guten Ruf. Unser Forschungsschwerpunkt mitochondriale DNA (mt DNA) geht in diese Richtung. Wir sind auch seit Jahren mit der Identifikation von Opfern des Pinochet-Regimes in Chile befasst.“
Gibt es spezielle Vorkehrungen in solchen High-Profile-Fällen?
„Die technischen Herausforderungen sind in jedem Fall dieselben. Wenn Proben in schlechtem Zustand sind, ist es schwierig, die vielleicht noch vorhandene geringe Menge an intakter DNA unbeschadet zu gewinnen. Die Analyse selbst muss die geringe Menge und den Grad der Beschädigung (Degradation) der DNA berücksichtigen. Die von uns angewandte Methodik, speziell der mitochondrialen DNA, ist extrem empfindlich.“
„Zur Identifikation menschlicher Überreste bekommen wir meistens Knochen“ – Richard Scheithauer
Können Sie diese für den Laien beschreiben?
„Zur Identifikation menschlicher Überreste bekommen wir meistens Knochen. Diese müssen gereinigt werden, um von außen angetragene fremde DNA zu zerstören (Kontamination). Eine große technische Herausforderung ist die Gewinnung der empfindlichen DNA aus dem harten Knochenmaterial. Dies geschieht durch mechanische und chemische Aufarbeitung. Entscheidend ist die Qualität der DNA, weniger die Menge. Der Erfolg der Analyse hängt entscheidend davon ab, welchen äußeren Umständen der Knochen zuvor ausgesetzt war. Schädlich sind etwa Hitze, UV-Bestrahlung, Chemikalien.“
Was kann die Gerichtsmedizin Innsbruck, das der Rest der Welt nicht kann?
Es gibt weltweit nicht allzu viele Labors, die sich in Forschung und Routine mit derartigen Fragen beschäftigen und über entsprechende Erfahrung verfügen.
Hatten Sie in der Vergangenheit ähnlich spektakuläre Fälle?
„Wir waren befasst mit der Identifikation von Opfern der Flutkatastrophe in Südostasien 2004/05, zwei Jahre später mit einem Knochenfund, der die Identität von Günther Messner, des 1970 verunglückten Bruders von Reinhold Messner, bestätigte. 2009 wurde an Hand von Zahnfragmenten und Gebeinsresten aus dem Jahre 1918 die Identität von zwei Kindern der russischen Zarenfamilie geklärt.“
Was waren die wichtigsten Entwicklungsschritte der DNA-Analyse in den vergangenen Jahren?
„Die Methodik für die Forensik, also die Spurenkunde, ist seit Langem auf einem hohen Niveau. Die Entwicklung geht dahin, auch Proben in sehr schlechtem Zustand, sogenannte challenging samples, erfolgreich zu untersuchen. Das bedeutet: Steigerung der Empfindlichkeit und Analyse immer kleinerer DNA-Bruchstücke. Beruhigend ist, dass daraus keine falschen Ergebnisse resultieren: Entweder man hat ein Ergebnis oder man hat keines.“
Der Wissenschaftsrat hat kürzlich Alarm geschlagen: Der Gerichtsmedizin fehle der wissenschaftliche Nachwuchs. Gehören Sie einer aussterbenden Wissenschaftsdisziplin an?
„Für den klassischen medizinischen Bereich der Gerichtsmedizin teile ich die Bedenken uneingeschränkt – leider. Dagegen ist für Naturwissenschafter speziell der Bereich DNA sehr attraktiv. Hier haben wir nicht nur reichlich Bewerber um Stellen, sondern müssen selbst Wissenschafter abweisen, die als Gast kostenlos am Institut arbeiten möchten.“