Die Unis laufen aufgrund der Ausgangsbeschränkungen im Notbetrieb. Nicht nur Studierende plagen sich mit dem Home-Learning, auch die Forscher*innen müssen ihre Arbeit derzeit am heimischen Schreibtisch erledigen. Aus diesem Grund hat die Uni Wien beschlossen, den jährlichen Fotowettbewerb „Meine Forschung in einem Bild“ als Home-Office-Version zu veranstalten. Zwei der top-prämierten Fotos und die Geschichten dahinter stellt Schrödingers Katze hier vor.
Schrödingers Katze: Worum geht es bei Ihrer Forschung?
Nora Kuch: Mein Forschungsbereich betrifft die sogenannte Frühzeit Ägyptens (3100-2900 v. Chr.), also die Zeit vor dem Bau der großen Pyramiden von Gizeh. Ich beschäftige mich mit Steingefäßen, die als Beigaben in die Gräber gelegt wurden. Interessant an diesen Fundstücken ist, dass sie anscheinend absichtlich mit einem Meißel zerbrochen wurden. Das ist ungewöhnlich, da nach der Vorstellung der alten Ägypter ja ein Weiterleben nach dem Tod besteht, für das man entsprechend mit allem Nötigen ausgestattet sein sollte. Wenn also ein Gegenstand der Grabbeigabe zerbrochen ist, liegt das meistens an der langen Zeit im Boden.
Dennoch konnte ich unter anderem in Helwan Gräber mit Fragmentdeponierungen identifizieren und als gesamtägyptisches Phänomen darstellen. Fragmentierte Gefäße finden sich in einfachen Grubengräbern bis hin zu großen komplexen Grabanlagen in ganz Ägypten und werden Kindern, Frauen und Männern aller Altersstufen beigegeben. Zudem konnte ich feststellen, dass die Fragmente im Zusammenhang mit dem Verschließen der Gräber deponiert werden und damit Teil der begleitenden Ritualhandlungen der Bestattungszeremonie sind.
Was ist die Idee hinter dem Foto?
Mein Foto „Digitarchäologie“ bezieht sich weniger auf meine eigene Arbeit, sondern will sich kritisch mit der Kontroverse zunehmender Digitalisierung innerhalb des Faches auseinandersetzen. Die Debatte ist nicht neu, hat aber im Zuge der Umstellungen in der aktuellen Situation einen ganz neuen Zündstoff bekommen. Neben den Einschränkungen und Umstellungen, die uns ja alle betreffen, bedeutet ein Rückzug ins Home-Office für die Archäologie vor allem den Ausfall der Feldforschung.
Zudem sieht sich die Ägyptologie, wie alle anderen Disziplinen natürlich auch, mit der Umstellung auf E-Learning und Umstrukturierung institutsinterner Abläufe konfrontiert. In meinem Bild habe ich versucht, diese Gegensätze darzustellen, indem ich Fachbücher und Printmedien den digitalen Aspekten unseres Faches, wie etwa 3D-Modellierungen, gegenübergestellt habe. Der Hut steht dabei für die Feldforschung und bedient sich hier – neben dem Pinsel – natürlich ganz bewusst und mit einem großen Augenzwinkern dem wohl größten Klischee archäologischer Selbstdarstellung.
Wie geht es Ihnen im Home-Office?
Momentan befinde ich mich in der Abschlussphase meiner Dissertation, da nutze ich die Isolation im Home-Office natürlich für intensives Schreiben. Grundlegend hat mich aber, wie wohl alle an der Uni, die Umstellung überrumpelt und die Umgewöhnung war nicht ganz einfach. Die Suche nach Online-Ressourcen nimmt unendlich viel Zeit in Anspruch, Arbeitsschritte verzögern sich und ziehen sich in die Länge und ‚mal eben‘ eine Fußnote prüfen ist oft gar nicht möglich. Zudem vermisse ich den direkten Austausch mit Freund*innen und Kolleg*innen. Das drückt hin und wieder die Stimmung, aber ich freue mich, wenn Reisen wieder möglich sein wird.
Schrödingers Katze: Worum geht es in Ihrer Forschung?
Anais Angelo: Ich arbeite derzeit an meiner Habilitationsschrift, die sich mit kenianischen Frauen in der Politik befasst, unmittelbar nachdem Kenia 1963 unabhängig von Großbritannien wurde. Ich konzentriere mich auf Frauen, die in den 1960er und 1970er Jahren um einen Parlamentssitz kämpften, als das noch sehr ungewöhnlich war. Tatsächlich gab es nur wenige Kandidatinnen (zwischen zehn und 15 pro Wahl in den Jahren 1969, 1974 und 1979 von mehr als 400 männlichen Kandidaten), und diejenigen, die sich für eine Kandidatur entschieden hatten, mussten stark und auch reich genug sein, um in die Öffentlichkeit treten zu können.
Politische Kampagnen konnten nicht nur physisch, sondern auch verbal ziemlich gewalttätig sein: Frauen wurden oft von ihren Mitbewerbern heftig kritisiert und gedemütigt, um sie als schwach darzustellen. Meine Forschung zielt darauf ab, die politischen Kampagnen von Frauen nachzuvollziehen und auf diese Weise ihren Platz in einer kenianischen Geschichte wiederherzustellen, die sich fast ausschließlich auf männliche Politiker konzentriert. Ich hoffe, dass ich durch die Sichtbarkeit der Frauen dazu beitragen kann, ihren Platz im öffentlichen Gedächtnis wiederherzustellen.
Was ist die Idee hinter dem Foto?
Wie viele Familien während der Ausgangsbeschränkungen mussten mein Mann und ich einen Weg finden, um weiter an unseren Projekten zu arbeiten und gleichzeitig auf unsere Tochter aufzupassen. Obwohl wir uns die Betreuung so eingeteilt haben, dass immer einer von uns arbeiten kann währen der andere auf sie aufpasst, war diese Zeit doch sehr herausfordernd. Durch die Aufteilung der Tage konnte ich weiter an meiner Habilitationsschrift und insbesondere an einem Kapitel schreiben, das der Kenianerin Jael Mbogo gewidmet war, die 1969 fast einen sehr prominenten Politiker, Mwai Kibaki, in einer Wahl besiegte. Einige Wochen nach Beginn der Ausgangsbeschränkungen in Wien kam es auch in Kenia zu einem Anstieg der Covid-19-Fälle und die Regierung verhängte ebenfalls Ausgangsbeschränkungen. Ich schrieb Jael, um zu erfahren, wie es ihr ging. Sie war so aufgeregt, das Kapitel zu lesen, dass ich doppelt motiviert war, während des Lockdowns kreativ zu bleiben.
Die Ausgangsbeschränkungen machte es auch notwendig, unsere Tochter in Dinge wie Putzen und Kochen miteinzubeziehen – und so begann ich zu überlegen, ob sie nicht auch Teil meiner Arbeit sein könnte. So wurde dieses Foto geboren: Ich stellte meine Bücher neben ihre Bücher und Spielsachen und sagte ihr, dass wir jetzt unsere Lektüre besprechen würden. Es hat Spaß gemacht, aber unsere „kreativen Lesegruppen“ waren nur kurzfristige Angelegenheiten.
Wie geht es Ihnen im Home-Office?
Jetzt, wo der Kindergarten wieder geöffnet hat, genieße ich es, nicht neben einem Gummi-Esel sitzen zu müssen, um zu arbeiten. Aber im Ernst, ich habe sehr gemischte Gefühle in Bezug auf das Home-Office. Obwohl ich eine eher introvertierte Person bin, haben die Ausgangsbeschränkungen gezeigt, dass es eine Herausforderung sein kann, den ganzen Tag allein in einem stillen Zuhause zu bleiben – etwas, worüber in der Presse bereits sehr viel gesprochen wurde. Auf der anderen Seite wissen wir alle, dass diese Krise das Potenzial hat, von Dauer zu sein. Daher sind Akademiker*innen gezwungen, neue Wege der Zusammenarbeit zu finden, und deshalb stehe ich stark mit weit entfernten Kolleg*innen in Verbindung, um neue Möglichkeiten der Kommunikation zu finden.
Mir hat gefallen, dass sowohl meine Schüler*innen als auch ich durch Online-Diskussionen mehr Zeit zum Lesen, Schreiben und Diskutieren von Texten hatten. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass nichts das persönliche Treffen ersetzen kann und dass es für die Universität sehr wichtig ist, ein Ort der Begegnung zu bleiben. Es könnte sehr gefährlich sein, Universitäten in virtuelle Supermärkte zu verwandeln, in denen die Menschen nach den wenigen Ideen suchen, die ihren Bedürfnissen und Vorlieben entsprechen, ohne jemals mit den Gedanken anderer konfrontiert zu werden. Außerdem bleibt der Besuch der Universität sicherlich der billigste, fairste und ökologischere Weg, um Zugang zu Bildung zu erhalten.
Die Fotos aller Teilnehmer*innen finden sich hier.