Schmuddel-Eck, das war einmal. Comics haben ihren Marsch durch die Institutionen der Hochkultur angetreten. Im Feuilleton sind sie längst angekommen. Das Bildungsbürgertum nimmt beim Besuch im lokalen Buchgeschäft die gediegene Graphic Novel Edition schon einmal zusammen mit dem neuen Grass oder der Neuübersetzung eines Klassikers mit. Immer öfter gibt es in Buchhandlungen eigene Ecken für die gebundenen bildreichen Abenteuer. Comics sind nicht mehr nur billiger Schund. Vor allem Autobiografien und Sachcomics verkaufen sich bestens. Dabei ist es noch nicht lange her, dass etwa der bekannte österreichische Zeichner Nicolas Mahler an keiner österreichischen Kunsthochschule angenommen wurde. Heute ist er einer der Großen im deutschsprachigen Raum.
Doch ausgerechnet an Österreichs Bibliotheken sucht man Comics oft vergeblich. In der Wissenschaft sind die bunten Heftchen oft noch verpönt. Genau darüber hat Beate Lang nun ihre Masterarbeit mit dem Titel „Comics und die Bibliothek: Zum Beginn einer späten Freundschaft?“ geschrieben. Wir trafen sie auf einen Kaffee und berichten hier nun 7 Dinge, die wir von ihr über Comics gelernt haben.
1. First things first: der, die oder das Comic?
Ob das oder der Comic ist Ansichtssache. Es wird unterschiedlich verwendet, Einzahl oder Mehrzahl. Comic ist ein Fremdwort, irgendwann sind dann geschlechtliche Zuweisungen erfolgt.
2. Comics ruinieren unsere Kinder.
Das hing stark mit der Etablierung des Österreichischen Buchklubs für die Jugend zusammen. Denen ging es darum, die Kinder von reinen Bildwelten wegzuholen, denn die würden zum Verlust der Lesekompetenz führen. Sprechblasen wären keine komplexe Auseinandersetzung, da würde den Leser_innen alles vorgekaut. Die Vorstellung war, dass die Kinder ihr Leseverständnis verlernen. ‚Zack, Puff, Boom, Pow!‘ half da natürlich nicht. In der literarischen Schreibe wäre alles schöner und plausibler dargelegt und rege das Gehirn mehr an, so die Comics-Gegner. Comics wurden als minderwertig abgestempelt, als nicht reif für die Auseinandersetzung. Auch wegen der Inhalte. Das waren ja keine tollen Geschichten. In Österreich haben mit dem Zweiten Weltkrieg viele innovative Köpfe das Land verlassen müssen, wurden vertrieben oder ermordet. Es gab eine große Leere. In diese Leere schwappten die Superheld_innengeschichten aus den USA, in denen es mächtig zur Sache ging. Gewalt war ein Thema – für Comic-Gegner_innen natürlich superböse. So wie in den Videospielen heute. Es gab sogar eigene Studien. Der Comic-Konsum wurde ausgerechnet in Jugendgefängnissen überprüft. Mit dem Resultat, dass Kinder, die viel Comics lesen, eine extrem hohe kriminelle Energie hätten.
3. Braucht es ein verdauliches Etikett, um Comics gesellschaftsfähig zu machen?
Graphic Novels sind heute etabliert, doch Comics sind für viele immer noch Schund. Da gibt es einen Gap. Comics waren traditionell immer seriell, nie abgeschlossen. Das kam jeden Freitag oder in der Wochenendbeilage. Dann kamen erste monografische, abgeschlossene Werke. Auch aus dem Wunsch heraus, sich erwachsene Themen anzueignen. Das war kein Label von außen, das war ein Anspruch der Zeichnerinnen selbst. Weil in der seriellen Produktion die Autoren immer mehr verloren gegangen sind. Zuvor gab es durch den Hype in Amerika einen unglaublichen Zuwachs an Heften, die nicht mehr von einer Zeichner_in produziert wurden, sondern von einem Verlag wie von Walt Disney. Letterer_innen, Colorierung, die Geschichtenschreibenden, die Zeichner_innen wurden zunehmend unsichtbar. In den 1960er gab es in den USA und später auch im deutschsprachigen Raum den Wunsch, wieder verstärkt als Person wahrgenommen zu werden. Das ist keine Entwicklung von außen oder von Verlagen diktiert. Im Gegenteil, die Verlage haben dadurch Macht über ihre Zeichnerinnen verloren.“
4. Comics sind nicht zufällig später im akademischen Mainstream angekommen als etwa Popmusik.
Es gab lange Zeit sehr wenige Produktionen für die Erwachsenenwelt. Da hat das monografische Produkt Graphic Novel viel verändert. Was auf einem elitären Markt für das Bildungsbürgertum produziert wird, wird eben anders rezipiert. Dabei wurden die ersten Standardwerke über Comics schon in den 1960ern herausgebracht. Allerdings noch mit einem ausgeprägten pädagogischen Zeigefinger. Bei den damals populären U-Comix ging es stark um sexualisierte Inhalte. Nach dem Motto: ‚Heraus mit den Penissen und mit den Ärschen.‘ Zum Teil sehr sexistisch und frauenfeindlich. Das war ein Aufbegehren gegen die verniedlichte Comicwelt, wo sich Zeichner und Zeichnerinnen plötzlich anderen Inhalten widmeten. Wenn man nicht in der Szene war, hat man die Hefte gar nicht in die Hand bekommen. Für die Popmusik war die Verbreitung über den Äther da um einiges leichter.
5. Comic-Snobs und Schwellenangst
Es war schwierig, an Comics heranzukommen. In Oberösterreich, wo ich aufgewachsen bin, war das ein Problem. Fahr einmal nach Linz und trau dich mit deiner Schwellenangst in abgefuckte Comicshops hineinzugehen. Da gab es eine Abschottung von innerhalb der Szene. Wenn man in einen Szeneshop hineingegangen wäre und nach einem ordinären Mickey Mouse Heft gefragt hätte, wäre man sofort wieder vor der Tür gestanden.
6. Den Bachelor of Comic and Graphic Novel gibt es noch nicht. Vorlesungen an Unis dagegen gibt es.
Vorlesungen gibt es: an der Anglistik, die schaun sich Comics vorwiegend inhaltlich an, die Vergleichende Literaturwissenschaft oder die Queer Studies beschäftigen sich damit. Bestimmt auch die Medienwissenschaften, auch an der Publizistik kann ich es mir vorstellen. Interessanterweise ist an der Universitätsbibliothek Wien der größte Comics-Bestand an der Bildungswissenschaft zu finden, Comics sind wohl wichtig für die Lehrer_innenausbildung, mittlerweile werden sie gerne als Lehrmittel eingesetzt.
7. Warum sind Comics noch immer kein anerkannter Kulturträger? Hätten Bibliotheken nicht die Aufgabe, möglichst viele kulturelle Artefakte zu konservieren? Möglichst viel über unsere Zeit zu archivieren. Schon. Doch bei Comics ist man auch 2014 noch nicht so weit.
Das Comic wird in der wissenschaftlichen Bibliothek kaum gesammelt. Die Aufgeschlossenheit fehlt, weil das Bewusstsein fehlt. Hier wollte ich mit meiner Arbeit ein bisschen die Augen öffnen. Die Universitätsbliothek ist eine Dienstleistungseinrichtung und reagiert insbesondere auch auf die Nachfrage. Es geht also auch hier um Angebot und Nachfrage. Obwohl ich festgestellt habe, dass die Forschung schon weit fortgeschritten ist. Vor 10 Jahren gab es noch keine Auseinandersetzung, jetzt gibt es sie. Meine Anregung ist daher, dass Bibliotheken auf Comics hinschauen sollten. Meine Arbeit ist ein Plädoyer an große institutionelle Sammeleinrichtungen, wie die Nationalbibliothek, Comics jenseits des Massenmarktes (selbstverlegt oder subkulturelles Szeneprodukte) gleichfalls zu archivieren. Damit auch sie als Produkte einer marginalisierten Gesellschaftsschicht, einer Geschichte von unten, in unsere Archive Eingang finden.
Beate Lang empfiehlt außeredem: 3 Comics, die auf jeder Bibliothek zu bekommen sein sollten:
- A Survivor’s Tale – Art Spiegelman. Der Klassiker, der die Geschichte von Spiegelmans Vaters als Holocaust-Überlebenden behandelt. Dieses Comic war insofern revolutionär, weil Spiegelman den NS-Terror humoristisch bearbeitet. Comic = humoristisch und ein lustiges Medium für Kinder. Die Kritik war, dass Spiegelman das Thema trivialisiere, später wurde der Titel aber hochgelobt, Spiegelman erhielt dafür sogar den Pulitzer-Preis.
- Graphic Novel nach Marcel Beyer – Ulli Lust lebt in Berlin, ihr letztes Werk heißt Flughunde. Sie arbeitet damit mitten in einem neuen Trend: Bücher, die es in Romanform schon gibt, in einer grafischen Version herauszubringen. Es geht um NS-Geschichte, konkret um die letzten Stunden der Familie Goebbels im Führerbunker.
- Barfuss durch Hiroshima – von Keiji Nakazawa über den Atombombenabwurf in Hiroshima. Der Autor hat den Abwurf als Kind miterlebt. Ähnlich einem Dokumentarfilm öffnet die bildliche Darstellung berührend nahe Türen, um auf Geschichte zu schauen.
Beate Langs Master-Arbeit Comics und die Bibliothek: Zum Beginn einer späten Freundschaft? kann man sich hier runterladen.