Ein Beispiel: Ich sitze gerade in mein Buch vertieft im Zug, als eine Gruppe Jugendlicher das Abteil betritt und lautstark eine Debatte über persönliche Vorkommnisse führt. Unter zahlreichen „He Oidas“ und „He i schwör’s“ finden sich da nur wenig Präpositionen, sodass Sätze wie „Oida, gemma Müllner Bräu!“ entstehen. Ich frage mich dann immer „Reden die mit Absicht so?“ Es folgt ein Kommentar dazu, wie unsere Sprechweise entsteht und was sie in anderen Menschen weckt.
Ein Gastbeitrag von Julia Leitner, erschienen auf dem Blog der Uni Salzburg.
Die Sprachwissenschaft beschäftigt sich schon lange mit der Frage, wie Slang, Dialekt, Generation und Bildung zusammenhängen. Mich interessiert aber auch, welches Bild von mir ich durch meine Wortwahl, meinen aktiven Wortschatz und meine Art zu sprechen bei anderen hervorrufe.
Es steht außer Frage, dass Sprache die Identität eines Menschen in hohem Maße prägt, ebenso, wie die Identität eines Menschen seine Sprache. Mit „Sprache“ ist an dieser Stelle aber natürlich nicht nur Deutsch, Englisch, Spanisch, … gemeint, sondern ganz generell die Sprechweise einer Person. Dass Sprache nicht auf rein verbaler Ebene geschieht ist ebenfalls klar, denn auch auf nonverbaler Ebene (zum Beispiel durch Körpersprache) wird laufend kommuniziert. Somit findet auch einer der fünf Grundsätze der Kommunikationstheorie des österreichisch-amerikanischen Kommunikationswissenschaftlers Paul Watzlawick: „Man kann nicht nicht kommunizieren“ seine Berechtigung.
Region: In Wien spricht man anders als im Mühlviertel
Welches Bild über mich trägt aber nun meine Art zu sprechen nach außen? Das ist sicher so konkret nicht zu beantworten, weil jeder Mensch einen anderen Standard setzt. Hierbei spielen aber bereits so viele Komponenten eine signifikante Rolle, dass es unmöglich festzulegen ist, welche Sprechweisen der betroffene Sprecher woher gewonnen hat. In punkto Dialekt könnte man beispielsweise aufgrund bestimmter (für eine Region typischer) Ausdrücke auf die Herkunft schließen.
Dabei muss man aber immer noch in Betracht ziehen, dass eventuell nur die Wurzeln der Familie in diesem Bereich liegen. Ein typisches Beispiel dafür ist, dass jemand, der den Ausdruck „ur-leiwand“ benützt, zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit, aber nicht zwingend, Wiener/in ist. Anders herum funktioniert diese Strategie allerdings nicht – nicht jede/r Wiener/in benützt diese Phrase.
Generation: Oma & Opa verwenden andere Wörter als wir
Abgesehen vom Dialekt verändert sich der Sprachgebrauch aber natürlich auch zwischen den Generationen. Meine Großeltern verwenden oft Wörter, die heute nicht mehr geläufig sind und aus dem Mund eines Kindes irgendwie falsch klingen würden. Ebenso wäre es aber zum Beispiel auch komisch einen Satz wie „Der Lauch ist hart am chillen“ von meiner Oma zu hören. Wie schätzt ihr eure Sprechweise ein? Ist sie sehr modern oder verwendet ihr auch manchmal altmodische Wörter? Ich persönlich verwende manchmal „ältere Wörter“ genauso wie typische „Jugendwörter“.
Bildung: Sprechen Leseratten anders als Netflix-Fans?
Hält man sich auch noch vor Augen welchen Einfluss Bildung auf unsere Sprachgewohnheiten hat, wird die Thematik noch komplexer. Klar ist, dass ein belesener Mensch ein anderes Vokabular benützt, als jemand, der nicht gerne liest. Es muss aber auch zwischen der Art der Lektüre unterschieden werden, denn jemand der gerne Werke der Klassik oder Romantik liest wird sich höchstwahrscheinlich ganz anders ausdrücken als ein begeisterter Comic-Fan. Auch ob man beim Lesen die deutsche Sprache bevorzugt oder lieber fremdsprachige Bücher wählt, hat Einfluss auf das eigene Vokabular.
Kann man aber nun aufgrund der angeführten Aspekte darauf schließen, dass jemand, der gerne Formulierungen wie „oida, i schwör!“ verwendet, unbelesen ist? Ich denke nicht. Man kann einen solchen Satz schließlich auch zum Spaß sagen, denn Sprache hat auch einen spielerischen Aspekt. Kurz gesagt: Ich gehe davon aus, dass sich unsere Sprachgewohnheiten durch wahnsinnig viele Komponenten entwickelt haben und sich auch laufend verändern.
Wandel: Wird die deutsche Sprache immer mehr vermurkst?
Eine weitere spannende Entwicklung: Die deutsche Sprache macht sich immer mehr Anglizismen zu eigen. Aber steuert die deutsche Sprache durch diese Anglizismen, den Wegfall der Präpositionen und die Tendenz neu entlehnte Verben nach schwacher Art zu konjugieren (das bedeutet, „te“ an den Stamm anhängen wie zum Beispiel googeln-googelte-gegoogelt) einem Sprachverfall entgegen oder wandelt sie sich schlichtweg? Das lässt sich so einfach nicht sagen, denn es kommt ganz darauf an, ob wir die Entwicklung von Sprache aus optimistischer oder pessimistischer Sicht betrachten.
Ich hoffe, ich konnte euch zum Nachdenken anregen. Und wenn ihr nächstes Mal im Bus der Zug einem Gespräch lauscht, macht ihr euch vielleicht ganz andere Gedanken dazu als vor der Lektüre meines Artikels. Eure Julia