Wirtschaftlich geht es EU-Ländern immer besser, so auch Österreich. Das BIP pro Kopf steigt stetig an, weniger Menschen sind arbeitslos und dadurch von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. Doch der kürzlich erschienene Eurostat-Bericht zeigt auf, dass diese Entwicklungen mit der Verschlechterung des Klimas einhergehen. Bericht analysiert, inwieweit die EU Fortschritte in Hinblick auf die Nachhaltigkeitsziele der UN gemacht hat. Österreich schneidet in diesem Bericht besonders schlecht ab.
Der Wirtschaft geht es zwar besser, dafür steigen CO2-Emissionen. Müssen wir also auf Wohlstand verzichten, um das Klima zu retten? Schrödingers Katze hat dazu mit dem leitenden Wissenschaftler des Eurostat-Berichts, Markus Hametner von der WU Wien, gesprochen.
Schrödingers Katze: Mit steigender Lebensqualität auf EU-Ebene verschlechtert sich das Klima. Inwiefern lässt sich dieser Trend auch in Österreich beobachten?
Markus Hametner: In Österreich ist dieser Trend sogar noch ausgeprägter als in der EU insgesamt. Beim Wirtschaftswachstum, gemessen am BIP pro Kopf, über die Periode 2013 bis 2018 liegt Österreich am vorletzten Platz aller 28 EU Mitgliedsstaaten, mit einer jährlichen Wachstumsrate von ca. 1 Prozent (Anm.: s. Grafik unten). Trotzdem sind in Österreich der Energieverbrauch und die Treibhausgasemissionen in den letzten 5 Jahren deutlich stärker gestiegen als in der EU insgesamt, während der Anteil erneuerbarer Energien deutlich langsamer gewachsen ist.
Ist das bei allen Ländern der Fall? Oder verschlechtert sich die Klimabilanz mancher Länder, die kein großes Wirtschaftswachstum erleben, ebenfalls?
Betrachtet man die zehn EU Länder mit dem geringsten Wirtschaftswachstum im Zeitraum 2013 bis 2018 – neben Österreich sind dies Belgien, Dänemark, Deutschland, Griechenland, Frankreich, Italien, Luxemburg, Finnland und Großbritannien – so zeigt sich, dass, mit Ausnahme von Österreich, alle diese Länder ihre Treibhausgasemissionen in den letzten 5 Jahren reduzieren konnten. Auch der Primärenergieverbrauch ging in den meisten dieser Länder zurück, während die Trends beim Endenergieverbrauch und beim Materialverbrauch kein klares Bild zeigen.
Betrachtet man im Vergleich dazu EU Länder mit hohem Wirtschaftswachstum wie etwa Irland, Polen oder Ungarn, so zeigt sich, dass in diesen Ländern Energieverbrauch und Treibhausgasemissionen deutlich stärker gestiegen sind. Auch die Bodenversiegelung ist in diesen Ländern zum Teil deutlich stärker gestiegen als in der EU gesamt, was auf verstärkte Bautätigkeit wie Straßen, Siedlungs- und Industriegebiete schließen lässt.
Was die Daten aber nicht zeigen ist, ob in den Ländern mit geringem Wirtschaftswachstum eventuell bewusst Wachstumspotential nicht ausgeschöpft worden ist, zum Beispiel aufgrund von Interessensabwägung mit klima- und umweltpolitischen Zielen, oder ob die Verbesserungen bei den Klima- und Energieindikatoren einfach nur glückliche – im Sinne von nicht bewusst herbeigeführte – Nebeneffekte eines sich verlangsamenden Wirtschaftswachstums sind. Wobei zu befürchten ist, dass Letzteres zutrifft.
Kann man das Ziel des Wachstums und damit soziales Wohlbefinden mit dem der Nachhaltigkeit vereinen? Oder wird das Klima immer den Kürzeren ziehen?
Diese Frage wird in gewissen wissenschaftlichen Kreisen seit einiger Zeit stark debattiert. Es gibt Verfechter, die dies mit „nein“ beantworten würden und de-growth als die einzige Lösung betrachten. Andere reden von green growth und meinen damit immaterielles Wachstum, also Wachstum, das nicht auf gesteigertem Ressourcendurchsatz basiert sondern auf einer Zunahme von immateriellen Serviceleistungen wie etwa Miete statt Kauf.
Wiederum andere reden von decoupling, also dass durch Innovation und technologischen Fortschritt das Wirtschaftswachstum von seinen negativen Folgen für Umwelt und Klima entkoppelt werden kann. All diese Ideen existieren bisher allerdings nur in der Theorie. Ein praktischer Beweis, dass diese Ideen wirklich beide Ziele, also soziales Wohlbefinden und Umwelt- und Klimaschutz, erfüllen können, fehlt bisher.
Wichtig ist auch noch anzumerken, dass das Klima nicht den Kürzeren zieht. Der Mensch wird irgendwann den Kürzeren ziehen, da sich Umwelt und Klima sukzessive so ändern werden, dass die Lebensbedingungen für die Menschheit zwangsläufig immer schlechter werden. Das heißt mit kurzfristigem Wirtschaftswachstum auf Kosten von Umwelt und Klima werden mittelfristig enorme Kosten auf uns zukommen, die wiederum das Wirtschaftswachstum selbst beeinträchtigen werden, und langfristig schaufeln wir uns damit wohl unser eigenes oder das Grab unserer Kinder und Kindeskinder.
Was müsste passieren, um die Nachhaltigkeitsziele der nächsten Jahre zu erreichen?
Um die UN-Nachhaltigkeitsziele bis 2030 zu erreichen bräuchte es deutlich mehr politischen Willen. Auf EU-Ebene bräuchte es eine umfassende Strategie, welche die Ziele in den Bereichen Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft ausbalanciert. Außerdem bräuchte es konkrete Maßnahmen um diese Strategie dann auch EU-weit umzusetzen. Alle sektoralen Politiken und Maßnahmen müssten sich dann an dieser übergreifenden Strategie orientieren.
Derzeit erleben wir aber einen sektoralen Fleckerlteppich, wo bestimmte und gut klingende Einzelmaßnahmen gesetzt werden, die zusammen aber kein kohärentes und umfassendes Bild ergeben und sich daher teilweise widersprechen. Ein Beispiel dafür ist die Diskussion rund um Tempo 140 auf österreichischen Autobahnen im Gegensatz zu dem Ziel, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren.