Wir sehen Frauen in kurzen Kleidern und mit viel Make-up weniger als Individuen als Frauen, die weniger Haut zeigen . Dass das so ist, wurde gerade in einer Studie von Giorgia Silani von der Uni Wien bestätigt. Mögliche Erklärungen gibt es viele.
Nur noch ein Körper ohne Gefühle
Warum wir weniger mit sexualisiert dargestellten Frauen fühlen, konnte in der Studie nicht ermittelt werden. Doch andere Studien haben bereits mögliche Erklärungen geliefert. Zum Beispiel ändern sich die Empathiewerte von Beobachtern gegenüber einer Person, die nicht dieselbe Hautfarbe wie sie selbst hat. Wir nehmen also Menschen, die anders als wir selbst sind, nicht gleich positiv wahr. Auch wenn jemand zu einer Fremd- und nicht zur Eigengruppe (also die Gruppe, mit der wir uns identifizieren) gehört, fühlen wir weniger stark mit ihm. “Es ist ebenfalls möglich, dass die Aufmerksamkeit sich verschiebt. Man konzentriert sich nur noch auf den Körper der Person statt auf ihre Gefühle”, so Silani. “Die Person wird im Kopf nicht mehr als Individuum verarbeitet, sondern nur noch als ein Körper. Das ist auch meine Vermutung.”
In der Studie wurden Teilnehmern Videos gezeigt, in denen drei Personen sich einen Ball zuwerfen. Eine der Personen war eine Frau, die entweder ein kurzes Kleid und hohe Schuhe, oder Jeans und ein T-Shirt trug. Die Frau wurde nach einer Zeit von dem Ballspiel ausgeschlossen, dadurch sollte die Empathie der Beobachter geweckt werden. Später wurden die Probanden gebeten, einzuschätzen, wie sehr der Frau das Spiel gefallen hat.
Parallel dazu wurde mit Magnetresonanz die Gehirnaktivität der Probanden gemessen. “Wir haben gesehen, dass der Bereich des Gehirns, der für Gefühle und Empathie zuständig ist, wesentlich weniger aktiv war, wenn die Frau mehr Haut zeigte”, sagt Silani.
Sexualisierung kann Gewalt triggern
Die Sexualisierung, die so stattfindet, bedeutet nicht nur einen Nachteil für Frauen in sozialen Interaktionen. “Wir müssen vorsichtig sein. Denn reduzierte Empathie kann auch bedeuten, dass wir gleichgültig gegenüber Gewalt sind, wenn sie gegen Frauen, die mehr Haut zeigen, gerichtet ist”, so Silani. “Wir reagieren nicht mehr auf das Leid der Betroffenen. Gewalt kann so auch ausgelöst werden.”
Für Silani wenig überraschend gab es keine großen Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Probanden. Beide Gruppen zeigten weniger Empathie gegenüber der Frau im Minikleid. Silani vermutet allerdings, dass hier verschiedene Mechanismen arbeiten. “Bei Männern könnte es daran liegen, dass ihre Aufmerksamkeit eher zu den sexualisierten Körperteilen wandert. Frauen könnten andere Frauen als von sich selbst verschieden sehen, und deshalb weniger Empathie zeigen. Den gleichen Effekt sehen wir zum Beispiel auch bei Menschen mit verschiedener Hautfarbe.”
Unsere Wahrnehmung muss sich ändern
Sollten Frauen, um Gewalt gegen sich selbst zu vermeiden, sich also lieber bedeckt zeigen? Nein, sagt Silani. Sie wolle vermeiden, dass ihre Erkenntnisse zu dieser Schlussfolgerung führen. Viel mehr sollten wir uns bewusst werden, dass wir oft gegenüber anderen weniger Empathie zeigen, wenn sie anders aussehen als wir selbst. Wie in dem Beispiel mit der Person mit der anderen Hautfarbe, sollte sich hier nicht die Person, die als anders wahrgenommen wird, gezwungen sehen, sich zu verändern. “Wir möchten die Botschaft aussenden, dass es nicht die Schuld der Person ist, die sich so anzieht. Es ist vielmehr die Art, wie das Gegenüber sie deswegen wahrnimmt, die sich ändern muss.”