„Drei Bier sind auch eine Mahlzeit“, weiß der Volksmund. Rund 600 Kilokalorien haben drei „große“ Biere, was in etwa einem Mittagessen entspricht. Das wird aber allzu oft vergessen: „Der Alkohol und die alkoholischen Getränke sind schon so lange in unserer Kultur präsent, dass keiner mehr beim Alkoholgebrauch das Kleingedruckte beachtet“, sagt Sergei Mechtcheriakov, Leiter des Therapie- und Gesundheitszentrum Mutters der MedUni Innbsruck. Alkohol ist eine hochkalorische Substanz – rund 7 Kilokalorien pro Gramm – und damit so energiereich wie Butter. Nur reines Fett ist noch nahrhafter. Paradoxerweise sättigt Alkohol aber nicht, er macht hungrig.
Betrunkene Mäuse essen mehr, betrunkene Menschen auch
„Der hungerauslösende Effekt von Alkohol ist hinlänglich bekannt und in Studien gut belegt“, erklärt der Mediziner. Weniger gut beschrieben sind aber die Auslöser des Effekts. Höchstwahrscheinlich handelt es sich um ein Zusammenspiel verschiedener Mechanismen. „Es gibt immer mehr Studien, die zeigen, dass Alkohol die für die Hungerregulation verantwortlichen neuronalen Netze direkt beeinflussen kann.“ Eine stammt etwa aus den USA: Dort fraßen Mäuse unter Alkoholeinfluss bis zu einem Viertel mehr als an abstinenten Tagen. Wurden diese auf Alkohol reagierenden Zellen chemisch blockiert, aßen die Tiere dagegen normal.
Säure und Bitterstoffe machen hungrig
Alkoholische Getränke bestehen aber nicht aus Alkohol allein: Substanzen in diesen Getränken wie Säure und Bitterstoffe reizen die Magenschleimhaut und regen die Produktion von Magensäure sowie die Aktivität des Verdauungstraktes an und steigern so das Hungergefühl. „Das geschieht sowohl direkt als auch durch geschmacks- bzw. geruchsassoziierte reflektorische Schleifen“, erklärt Mechtcheriakov. Sprich: Nicht nur der Alkohol im Bier löst Hunger aus. Das Bier erinnert uns auch noch daran, dass ein Schnitzel dazu richtig fein wäre.
Gut getrunken, schlecht beraten
„Alkohol führt zu einer Potenzierung der GABA-Effekte in neuronalen Netzwerken. Er lockert die Kontrollfunktion und wirkt daher enthemmend. Das führt dazu, dass wir im betrunkenen Zustand Dinge tun, die wir nüchtern sein lassen“, erklärt Mechtcheriakov. Dazu zählt die unnötige SMS an den oder die Ex genauso, wie unsere Entscheidungen bezüglich Nahrung: Wir essen, obwohl wir vielleicht gar nicht richtig hungrig sind oder stopfen Dinge in uns hinein, um die wir im Alltag einen großen Bogen machen. Here’s looking at you Würstelstand-Käsekrainer.
Alkohol-Abusus verändert den gesamten Stoffwechsel
Bereits in geringen Mengen kann Alkohol den Appetit anregen. Exzessiver, langjähriger Alkoholkonsum verursacht dagegen massive Funktionsstörungen in vielen Bereichen der Verhaltenssteuerung. Darunter auch schwere Beeinträchtigungen der Hungerregulation im alkoholisierten Zustand. In Folge kommt zu Stoffwechselprobleme und Erkrankungen, wie Übergewicht, erhöhtem Cholesterin, Diabetes und deren Vorstufen sowie Leberverfettung.
„Der hochkalorische und stoffwechselbeeinflussende Effekt von Alkohol sowie das Risiko davon Gewebeschäden verschiedener Art zu bekommen, steigt ziemlich steil mit der Tagesdosis“, führt Mechtcheriakov aus. Die Harmlosigkeitsgrenze bei Reinalkohol liegt bei 20 bis 30 Gramm pro Tag, bzw. 100 bis 150 Gramm pro Woche. Zum Vergleich: Ein Viertelliter Bier, ein Achterl Wein oder ein Vodka-Shot beinhalten rund jeweils 20 Gramm Reinalkohol.
Warum schmeckt im Schanigarten alles besser?
Bier oder Sommerspritzer im schattigen Gastgarten sind oft die perfekte Erfrischung im Sommer. Verantwortlich dafür, ist aber nicht der Alkohol in den Getränken, sondern deren Temperatur und die Zusatzstoffe sowie das Ambiente des Schanigarten: „Vitamine, Mineralstoffe und andere „Wunderstoffe“ in alkoholischen Getränken kann man bei ausgewogener Ernährung auch problemlos aus alkoholfreien Nahrungsmittel bekommen.
Einen positiven gesundheitlichen Effekt haben diese Stoffe nur, wenn man nicht zu viel Alkohol dazu aufnimmt“, erklärt der Mediziner und gibt zu bedenken: „Wenn man acht G‘spritzte braucht, um sich zu ‚erfrischen’, dann geht’s nicht mehr um Erfrischung, sondern um Lust nach Rausch oder möglicherweise sogar um Linderung der Entzugssymptome.“
Tatsächlich kann Alkohol an heißen Tagen den Körper zusätzlich belasten: Alkoholhaltige Getränke zu konsumieren, wenn man schon dehydriert ist, ist eher kontraproduktiv. Aufgrund der geringen Flüssigkeitsmenge im Körper wird man schneller betrunken. Alkohol entzieht dem Körper zusätzlich Flüssigkeit, was das körpereigene Kühlsystem – Schwitzen – stört. Damit gehen auch Mineralien und Salze verloren, was die Krampfneigung begünstigt. Wer im Sommer Sport macht, greift danach besser zum alkoholfreien Bier.
Ein Achterl in Ehren, kann niemand verwehren? – Man kann!
„Die Erzeugung und der Konsum von alkoholischen Getränken sind Teil des österreichischen Kulturguts. Dieses Sprichwort ist der Inbegriff des sozialen Drucks, der damit einhergeht“, sagt Mechtcheriakov. Im Fall des Alkoholkonsums werde dieser Druck erzeugt, um den Zusammenhalt von Gruppen zu stärken. Anders als das Sprichwort suggeriert, ist es aber keine Ehrverletzung, ein „Glaserl“ abzulehnen, sonders das gute Recht jedes einzelnen, erklärt der Suchtexperte.
Hierzulande sei das aber nicht immer ganz einfach, weil Menschen, die Alkoholkonsum ablehnen, rasch unter Rechtfertigungsdruck geraten. Alkohol ist aber nicht nur ein Kulturgut. Der Umgang damit ist eine Kulturtechnik. Dazu gehört es nicht nur, zu wissen, wann man genug hat, sondern auch, dass man jederzeit nein sagen kann. Der Spritzer im Schanigarten soll ja ein Genuss und keine Verpflichtung sein.