Französische Suffragetten in weiten Culotte-Hosen im 19. Jahrhundert, Langhaarhippies mit Batik-Kleidern in Summer of Love oder Vivienne Westwoods durchlöcherter Nieten-Punk-Stil in den 1970er-Jahren: Blickt man in der Geschichte zurück, wurden gesellschaftliche Brüche häufig auch an der Kleidung sichtbar.
Das weiß auch Sabine Hirzer, die am Institut für Kunstgeschichte an der Karl-Franzens-Universität in Graz an ihrer Dissertation zum Themenschwerpunkt Mode, Protest und Revolution arbeitet. In ihrer Arbeit geht sie dem Stellenwert der Mode in der heutigen Gesellschaft nach; und den Fragen, inwiefern sich dieser seit der Französischen Revolution verändert hat und wie Protest und Revolution in zentraleuropäischer Mode sichtbar werden. Anhand bildwissenschaftlicher Analysen untersucht Hirzer diese Aspekte in Alltagskleidung und Haut Couture.
Einen Teil ihrer Forschung führte sie an der Lipperheideschen Kostümbibliothek und deren Sammlung Modebild (Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin) durch: „Mode und Bekleidung sind nach wie vor das signifikanteste Mittel zur Selbstrepräsentation“, meint die Kunsthistorikerin im Interview. „Über das öffentliche Bekennen zu einer Lebensweise anhand des Mediums Mode – oder über den „Geschmack“, wie Pierre Bourdieu feststellte – „stiftet Kleidung Identität“.
Zwischen Identifikation und Abgrenzung
Die identitätsstiftende Funktion von Mode ist so alt wie zwiespältig. Wer durch Mode ein Statement und Bekenntnis zu einem bestimmten Lebensstil abgibt, grenzt sich dadurch gleichzeitig von anderen ab. Die offensichtlichsten Beispiele sieht man täglich auf der Straße, besonders deutlich oft bei Jugendlichen und in vielen Subkulturen wie denen von Skinheads, Punks oder Hip-Hop-Anhängern.
„Die Distinktion anhand von Bekleidung kennt allerdings keine Altersgrenze“, erklärt Hirzer. „Besuchen Sie hintereinander Lokale mit unterschiedlichen Zielgruppen und beobachten Sie die Gäste. Sie werden markante Unterschiede zwischen den Besucherinnen und Besuchern eines veganen Restaurants, eines altsteirischen Gasthauses und einer schicken Bar finden.“
Mode ist in all ihren Facetten, von der Produktion bis hin zum Konsum und Gebrauch, sozialpolitisch aufgeladen. Und auch Modedesigner setzen sich in ihrer Arbeit immer wieder mit kritischen Fragestellungen auseinander. „Auf höchster Ebene greifen Designer wie Rick Owens oder das Label Ikiré Jones aktuelle Themen auf und verarbeiten diese inhaltlich oder in ihren Präsentationen“, erklärt die Kunstgeschichte-Doktorandin.
Hinter Letzterem stehen Walé Oyéjidé und Sam Hubler, die nicht nur mit ihren westafrikanisch beeinflussten Designs auf aktuelle Diskurse wie Flucht, Armut und Krieg aufmerksam machen, sondern auch in ihren Shows soziales Bewusstsein schaffen wollen. Die Kollektion „After Migration“ beispielsweise wurde 2016 in Florenz von Asyl suchenden jungen Männern aus Gambia und Mali als Models präsentiert.
Die soziale Dimension von Mode endet nicht auf den Laufstegen der Hautevolee
Beim Einkaufen stellen sich mittlerweile immer mehr Kunden die folgenden Fragen: Woher kommt diese Kleidung? Aus welchen Rohstoffen ist sie hergestellt worden und unter welchen Arbeitsbedingungen ist sie entstanden? Secondhand- und Eco-Fashion-Shops duellieren sich hier mit Discountern á la Primark oder H&M. Der soziale Gap ist laut Mag. Hirzer auch zwischen diesen Trägerschichten nach wie vor groß.
Die Redewendung „Kleider machen Leute“ trifft somit immer noch den Nagel auf den Kopf – denn Wohlstand und Status werden vermutlich auch künftig stark durch Mode nach außen getragen und in den Köpfen vieler auch auf den vermuteten Charakter der TrägerInnen zurückstrahlen.