Blut schmeckt ihm, Knoblauch eher nicht so. Auch Socialising bei Tageslicht passt nicht gerade zum Lebensstil des Einzelgängers. Ein gewisses Maß an Höflichkeit ist ihm trotzdem wichtig – sonst würde das blasse Wesen wohl kaum nur nach erfolgter Einladung über fremde Türschwellen treten. Der Vampir kennt unzählige Darstellungen an der Grenzen zwischen Fiktion und Realität. Bis heute findet er sich als unverzichtbare Größe in der Popkultur, unter anderem in epischen Teenagerdramen wie der erfolgreichen Twilight-Saga wieder.
Aber nicht nur die Literatur- und Filmgeschichte reizt der Mythos Vampir, auch die Wissenschaft beschäftigt sich mit dem sogenannten Vampirismus. Der Glaube sei bereits im Mittelalter aufgetreten, sagt Professor Christoph Augustynowicz vom Institut für Osteuropäische Geschichte der Universität Wien. „Es ist sehr spannend zu sehen, dass die Idee der Existenz von Vampiren immer wieder in Zeiten von großen Umbrüchen aufgekommen ist. Es gibt ähnliche Vorstellungen bereits in der Antike. Hier stelle sich für die Forschung jedoch die Frage, inwiefern diese bereits Vampire waren, erläutert der Experte für den Forschungsschwerpunkt Vampirglaube und Vampirismus.
Vampir steht für „wiedergehend, blutsaugend, schädigend und individuell“
Was als ein solches Exemplar gilt und was nicht, ist generell eher Auslegungssache. Denn das Spektrum der Untoten, Totgeglaubten und wiederkehrenden Toten ist ein breites. „Prinzipiell aber kann man sich an die Definition von Peter Mario Kreuter halten, die davon ausgeht, dass Vampire meist wiedergehend, blutsaugend-schädigend, materiell und individuell sind.
Dass sie zu den sogenannten Wiedergängern gezählt werden, bedeutet, dass sie in irgendeiner Form von den Toten zurückkommen“, so Augustynowicz. Der Vampir unterscheide sich weiters vom Zombie, der sich im Kollektiv bewege, als auch vom Androiden, der maschinell gesteuert werde.
Auch wenn der Volksglaube an die Blutsauger möglicherweise bis in die Antike zurückgeht, besonders ausgeprägt war er vor allem im 18. Jahrhundert. Eine Serie von Todesfällen, um die sich Mythen rankten, verursachte Panik an der Südostgrenze des Habsburgerreiches. „Es gab im Jahr 1725 und im Jahr 1731 zwei große Häufungen von mysteriösen Todesfällen, mit denen man sich intensiv auseinandersetzte.
Damals, zur Zeit der Aufklärung, begann auch eine neue Ära der wissenschaftlichen Auslegung und Vermessung des Menschen. Obduktionen wurden unter neuen Kriterien vorgenommen und im Zuge dieser ist auffällig geworden, dass manche Leichen nicht so verwest waren, wie man sich das vorgestellt hätte“, so der Professor. Diese Erkenntnis habe zu einem neuen Blick auf die Dinge geführt: Man stellte fest, dass der Übergang zwischen Leben und Tod ein durchaus fließender sein kann.
Maria Theresia : Wider den Vampirismus
Zu den wahren Ursachen für die Todesfälle von 1725 und 1731 gibt es laut Augustynowicz zwei große Theorien in der Medizingeschichte. Die erste geht davon aus, dass diese auf Milzbrand zurückzuführen seien, die zweite hält Tollwut für wahrscheinlicher.
Ob an Vampire geglaubt wurde oder nicht, galt auch als Indikator für den Entwicklungsgrad einer Region: „Man kann zwar sagen, dass der Wiedergänger-Glaube punktuell in ganz Europa verbreitet war. Vor allem aber fand man ihn in Zentral- und Südosteuropa. Interessanterweise entwickelt sich der Vampir im 18. Jahrhundert immer stärker zu einer Figur, die für die Rückständigkeit des östlichen Europas im Gegensatz zum fortschrittlichen westlichen Europa steht.“
Friedrich der Zweite, Aufklärer Voltaire und sogar der Papst – politische, kulturelle und wirschaftliche Denker aus den damaligen Zentren Europas setzten sich gegen den Vampirglauben ein.
Auch Maria Theresia sagte dem Aberglauben den Kampf an. „Anlässlich von Todesfällen in Schlesien und Mähren in den 1750er-Jahren beauftragte sie ihren Leibarzt, den Wissenschaftler Gerard van Swieten, ein Gutachten zu erstellen, welches zu dem Schluss kommen sollte, dass es Vampire nicht gibt. Ein eindeutiger Beleg für eine damals zunehmende Rationalisierung und Relativierung dieses Volksglaubens“, so Christoph Augustynowicz. Schlussendlich trat also doch die von Maria Theresia propagierte Vernunft ihren Siegeszug gegen den Mythos an.
Von Nosferatu zu Edward Cullen: Der Vampir im Wandel der Zeit
Dennoch ist Österreich eine Art literarische Wahlheimat für Vampire geblieben. Der Roman „Carmilla“ aus dem Jahr 1872 beispielsweise, der aus der Feder des irischen Autors Sheridian Le Fanu stammt, handelt von einer lesbischen Vampirin in der Steiermark. Und auch Bram Stoker hatte vor, seinen „Dracula“ in das grüne Bundesland zu schicken.
„Die Handlung hat der Autor erst gegen Ende der Vollendung seines Romanes nach Transsylvanien verlegt. Zu dieser Zeit wurden in London nämlich Berichte über das rückständige Siebenbürgen veröffentlicht. Es wird daher vermutet, dass Stoker darauf abzielte, mit dieser Ortswahl medial daran anzuschließen“, erklärt sich Augustynowicz das Umschwenken von Stoker.
Ebenfalls flexibler und weniger eindeutig gezeichnet ist das heutige Aussehen und Verhalten des Blutsaugers. Edward Cullen aus Twilight und Eric Northmann aus True Blood wirken gegen ihre früheren adeligen Kollegen, die auf der Burg ihre nächsten Opfer erwarteten, fast schon wie empathiefähige Lebensabschnittspartner.
Mit einem buckligen, kahlköpfigen Nosferatu haben die modernen Vampirgestalten jedenfalls nur mehr wenig zu tun. Augustynowicz: „Diese Entwicklung zeigt die gesamte Ambivalenz zwischen Faszination und Schrecken, die der langen Tradition der Beschäftigung mit der Figur des Vampirs innewohnt.“
Dabei würde uns gefallen, dass wir immer wieder reflektieren müssen, ob wir es bei ihr mit einem Helden oder mit einem Villain – einem Bösewicht – zu tun haben. Denn beim Mythos Vampir gehe es heutzutage vor allem darum, immer wieder aufs Neue über die Frage „Warum ist denn der eigentlich so geworden?“ rätseln zu können.
Autorin: Nadine Obermüller