Schrödingers Katze hat die Kuratorin und Kunsthistorikerin Martina Fleischer gefragt, warum über dem um 1504 entstandenen Weltgerichtstriptychon derzeit Drohnen fliegen:
Hieronymus Bosch starb vor 500 Jahren. Warum spricht uns die rätselhafte Welt, die er in seinen Bildern zeigt, noch heute so an?
Martina Fleischer: In vielen von Hieronymus Boschs Gemälden tummeln sich Phantasiegestalten und Teufelsfiguren, die in der christlichen Weltsicht das Böse verkörpern. Sie entstammen einem reichen Schatz an überlieferten, mittelalterlichen Vorlagen, die der Künstler aber als scheinbar organisch funktionierende, bis ins Detail durchmodellierte Wesen umsetzt. Dadurch wirken sie „realer“. Der Anblick dieser Monster erschreckt, fasziniert und verblüfft – was ein seit der Antike bekannter Mix zur Beeinflussung des Betrachters ist.
Worum geht es im Bild über das Weltgericht?
Bei der dreiteiligen Altartafel handelt es sich um eine Variante der seit dem 12. Jahrhundert üblichen Darstellung des Weltgerichts, wie es in der Offenbarung des Evangelisten Johannes beschrieben wird.
Hieronymus Bosch ersetzt allerdings das himmlische Paradies, das traditionell auf der rechten Seite Christi (von dessen Standpunkt aus betrachtet) abgebildet ist, durch das Schöpfungsparadies. Gleichzeitig gestaltet er die Mitteltafel wie ein teuflisches Wimmelbild:
Er füllt sie mit einer Vielzahl entsetzlicher Szenen, in denen Menschen von Monstern gequält werden oder einander gegenseitig Gewalt antun. Sie unterscheidet sich nicht vom Höllenflügel. Christus, der Weltenrichter, ist klein und tatenlos über dem Geschehen platziert. Der Ausgang ins himmlische Paradies ist nur mühsam an einer hellen Stelle im (von Christus aus gesehen) rechten oberen Ecke der Mitteltafel zu entdecken.
Im Vergleich mit anderen Werken Boschs fällt auf, dass es dem Meister bei dem Wiener Altar nicht so sehr um das Weltgericht am Jüngsten Tag, sondern vielmehr um die Menschheit geht, die täglich in ihren Sünden aufgeht und sich nicht um die Zukunft der Seele nach dem Tod kümmert. Deutlich wird das am Zusammenhang, in dem die einzelnen Szenen mit den Sieben Todsünden stehen. Die Aussichten der Menschheit sind schlecht, denn die Mitteltafel, die ihre sündige Gegenwart zeigt, gleicht den Bestrafungsbildern in der Höllentafel.
Der in Zagreb geboren Künstler Ivica CAPAN lässt in der digitalen Collage aus Fotografie und Malerei einen Drohnenschwarm über die Szenen des Jüngsten Gerichts fliegen. Warum setzt er die Drohnen über das Paradies?
In Weiterentwicklung seiner Auseinandersetzung mit Gemälden von Veronese oder Rubens verwendet Ivica Capan auch hier bei Bosch das Motiv der Drohne, Modell Predator („Raubtier“) MQ-1, das 1995–2015 für die US-Army produziert und für Kriegseinsätze mit Hellfire-Raketen ausgestattet wurde.
Zur Darstellung der Bedrohlichkeit dieser tödlichen, unbemannten Waffe, die ferngesteuert auf die gezielte Eliminierung einzelner Menschen ausgerichtet ist, legt Ivica Capan über die drei Tafeln des Weltgerichtsaltars in vorderster Bildebene ein Netz von seriell angeordneten Drohnen.
Ursprünglich als Einzelmotiv gemalt und in weiterer Folge digital reproduziert, schweben die Drohnen weit entfernt, ohne Schatten und in einer in sich geschlossenen Sphäre über Hieronymus Boschs düsterem Weltenpanorama. Die Drohnen überlagern den Altar in kontinuierlicher Bedrohung und sich zunehmend verdichtenden Formationen:
Sie stehen bewegungslos über dem linken Flügel, über der Entstehung, dem Sündenfall und der Vertreibung der Menschen aus dem Paradies, sie belegen in dichtem Geschwader die Mitteltafel, unter sich die irdische Gegenwart der monströsen Sünder, sie schweben rechter Hand über der Hölle, die das aussichtslos schreckliche Schicksal der Menschheit zeigt.
Nicht zuletzt unter dem Eindruck der furchtbaren Berichte des ehemaligen US-Drohnenpiloten Brandon Bryant, setzt Ivica Capan die Drohne als Symbol der entmenschlichten Gewalt neuester Kriegstechnologien ein – ihre Gegenüberstellung mit dem heillosen Treiben der von Monstern gequälten Menschheit im Weltgerichtstriptychon kommt nicht von ungefähr. Mit seiner vielschichtigen Arbeit zum Bosch-Triptychon transportiert er brennend aktuelle Fragen und Ängste um die Zukunft der Menschheit, die blind und unreflektiert ihr eigenes Schicksal bestimmen zu können glaubt.
Welche Szene fasziniert Sie am meisten?
Mich beeindruckt vor allem der Abschnitt mit den Drohnen über der Todsünde Ira – Gewalt und Zorn – in der unteren Hälfte der Mitteltafel.
Weil er den dem Menschen innewohnenden Wesenszug des Tötens und Quälens seiner Mitmenschen in zwei durch 500 Jahre getrennten, einander überlagernden Darstellungen vereint und als leider immer noch präsent verdeutlicht.
Hieronymus Bosch 500: Drohnen im Paradies – Eine alltägliche Apokalypse
Eine Präsentation in der Reihe IM FOCUS. 6. Juli bis 9. Oktober 2016
KURATORENFÜHRUNGEN
Am Freitag, 9. September 2016, 16 Uhr und am Freitag, 23. September 2016, 16 Uhr finden Kuratorenführungen mit Dr. Martina Fleischer in Anwesenheit des Künstlers Ivica CAPAN statt: http://www.akademiegalerie.at/de/Aktuell/Ausstellungen/Bosch-Ausstellung%202|16
Am 7. Oktober 2016, 17.00 Uhr findet in den Räumen der Gemäldegalerie die Finissage der Ausstellung statt.
Mit Kurzvorträgen zu aktuellen Fragen des Drohneneinsatzes von Univ.Prof. Dr. Sebastian Kummer, Institut für Transportwirtschaft und Logistik, WU Wien, Arbeitsschwerpunkt u. a. Digitale Zustellungen, Drohnen und Co., und Herrn a.o. Univ.Prof. Dr. Herbert Hrachovec, Institut für Philosophie der Universität Wien, Arbeitsschwerpunkt u. a. Kriegsdrohnen und humanitäres Völkerrecht: http://www.akademiegalerie.at/de/Aktuell/Ausstellungen/Bosch-Ausstellung%202|16
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