Personalisierung (oder Customizing) ist die Anpassung von Gütern, Informationen oder Dienstleistungen an die Bedürfnisse eines Individuums. Das Prinzip der personalisierten Werbung ist inzwischen in aller Munde: Lese ich einen Bericht über das neue Album meiner Lieblingsband, wird es mir bereits kurz darauf zum Kauf angeboten. Lange Zeit gab es nur persönliche Beratung durch den Händler, doch die Zeiten ändern sich – Web 2.0 sei dank.
Wie genau funktioniert dieses Prinzip? Zum Eintauchen in die personalisierte Welt ist die Kommunikationswissenschaft das perfekte Sprungbrett. Deshalb hat Schrödingers Katze drei Experten zum Gespräch gebeten: Dr. Ingird Paus-Hasebrink, Leiterin der Abteilung Online-Kommunikation an der Universtät Salzburg, Dr. Wolf Rauch vom Institut für Informationswissenschaft der Karl-Franzens-Universität, sowie Dr. Otto Petrovic, Leiter des Grazer Center for Digital Communication.
Das personalisierte Leben 2.0
Das Sammeln von personenbezogenen Daten im Internet und das Erstellen von Kundenprofilen ermöglicht es Anbietern, gezielt jene zu adressieren, die als Käufer in Frage kommen. Der Kunde genießt den Vorteil, dass er Angebote erhält, die am ehesten seinem Geschmack entsprechen könnten. Eine klassische Win-Win-Situation, oder?
„Wer freut sich nicht, wenn seine Bedürfnisse möglichst punktgenau befriedigt werden“, erklärt Dr. Paus-Hasebrink. Maßgeschneiderte Medizin, der wir uns im zweiten Teil des Schwerpunkts im Detail widmen, sieht sie als Beispiel, in dem “die Wirkung zielgerichtet verläuft und nachhaltiger ist – und dies ohne zu viele unerwünschte Nebenwirkungen.“
Doch auch diese Entwicklung ist nicht umsonst. Im Kontext der digitalen Kommunikation gibt es drei Währungen: Geld, Aufmerksamkeit und Daten. Mit welcher man bezahlt – und was man von sich preisgibt – sei eine Frage des Lifestyles, meint Dr. Rauch. Als Analogie beschreibt er die Unterschiede zwischen dem Landleben, wo “jeder von jedem alles weiß” – im Gegensatz zur Stadtkultur, die Anonymität und Freiheit biete, „allerdings oft um den Preis der Vereinsamung und Kälte.”
Dasselbe gilt auch für den Cyberspace. Denn wer zum Beispiel auf Facebook viel von sich preisgibt, wird viele Freunde und Follower finden. “Wer sich hingegen verschließt, wird manches Angebot verpassen, aber vielleicht auch manche Gefahr,” resümiert Dr. Rauch.
Der gemütliche Weg zum gläsernen Menschen
Die Studie zum „Heranwachsen mit dem Social Web“ macht deutlich, dass vor allem junge Menschen dabei in eine Zwickmühle geraten. „Um auffindbar zu sein, im Social Web mitmachen und interagieren zu können, geben sie Daten preis und begeben sich damit in die Fänge der Geschäftsinteressen weltweit expandierender Social Network-Plattformen,” beschreibt Dr. Paus-Hasebrink. Sie schließt daraus, dass die Individualisierung im Internet mit der Nutzung unserer Daten „erkauft“ werde.
Daten sammeln. Profile erstellen. Die Methodik ist logisch – doch funktioniert sie wirklich? Werbung genießt seit jeher einen schlechten Ruf. Laut Dr. Petrovic steckt sie inzwischen in der „tiefsten Krise seit ihrem Entstehen.“ Jede Information über potentielle Kunden ist daher ein gefundenes Fressen – denn die Personalisierung hilft beim Rühren der Werbetrommel, damit „der Sender einer Nachricht einen hohen pragmatischen Informationsgehalt erreicht.“
Speicherung, Verknüpfung und Verwertung „digitaler Spuren“ – was im Hintergrund des Smartphones geschieht wissen wenige. Doch selbst Wissen allein reicht nicht aus, um die Bequemlichkeit auszuhebeln. Das „Privacy Paradox“ unterstreicht: auch wenn Nutzer besorgt um ihre Daten sind, drängt sich der erhoffte kurzfristige Nutzen häufig in den Vordergrund, und die Informationen werden dennoch preis gegeben.
“Sie finden im Internet alles und sein Gegenteil. Wer eine festgefahrene Meinung hat, wird genügend Bestätigungen finden – auch für den größten Unsinn.” – Dr. Rauch
Die Gefahr der Einseitigkeit
„Wir stehen in der Gefahr, uns zunehmend durchsichtig zu machen, die Geschäfte mit unseren Daten aber sind dies in der Regel nicht,” warnt Dr. Paus-Hasebrink. Personalisierte Werbung ist dabei nur der Anfang einer Vielzahl an potentiellen Entwicklungen. Eine enorme Gefahr verbirgt sich unter anderem auch hinter dem kontrollierbaren Nachrichten- und Informationsfluss.
Das Machtmonopol einiger weniger Massenmedien sei gebrochen und „gerade das ermöglicht im Sinne der Authentizität viel besser sich ein eigenes Bild zu machen.” Die Voraussetzung dafür sei aber ein gesteigertes Maß an Medienkompetenz, meint Dr. Petrovic. Dr. Rauch erklärt die grundlegende Problematik wie folgt: “Sie finden im Internet alles und sein Gegenteil. Wer eine festgefahrene Meinung hat, wird genügend Bestätigungen finden – auch für den größten Unsinn.”
Die Kompetenz, kritisch mit Internet-Angeboten umzugehen, steigt laut Dr. Paus-Hasebrink jedoch leider nicht so schnell, wie die technischen Möglichkeiten wachsen. “Nur hören und sehen (wollen), was man eh schon weiß oder wissen will, kann zu tiefgreifenden politischen Problemen führen,“ ergänzt sie – und deutet an, dass bereits „so mancher Shitstorm zeigt, wohin dies führen kann.”
Das Internet geht nicht mehr weg
Das enorme Potential des Internets – im Vergleich zu älteren Formen der Kommunikation – liegt an seiner großen Reichweite, verbunden mit der Interaktivität zwischen einer Vielzahl an Menschen. Dadurch gibt es keine Sender und Empfänger mehr, sondern nur Knoten in Kommunikationsnetzwerken, warnt Dr. Petrovic. Das sei „ein sehr scharfes Messer – mit dem kann man viel Gutes aber auch weniger Gutes machen.“
„Muss ich immer die richtigen Angaben machen? Muss ich jedes Formular vollständig ausfüllen?“ fragt sich Dr. Rauch. Das Web 2.0 sei „kein getreues Abbild der Realität“. In jedem Fall bedarf es sowohl einer gesellschaftlichen, als auch einer individuellen Kraftanstrengung, um Vorteile zu sichern und Gefahren zu minimieren. Denn, um ein Kind, das einst an einer von Dr. Paus-Hasebrinks Studien teilgenommen hat, zu zitieren: „Das Internet geht nicht mehr weg.“