Wieso kommt uns die Rückreise im Vergleich zur Hinreise immer kürzer vor? Das Phänomen gibt es wirklich und es hat einen Namen: „Rückreiseeffekt“. Und der wird laufend thematisiert, nicht zuletzt in einer Studie der Universität in Kyoto, die vor kurzem auf der Plattform „Plos One“ veröffentlicht wurde. Ausschlaggebend soll subjektive Zeitbeurteilung auf Basis von Erinnerung sein, stellt Forscher Ryosuke Ozawa fest. Bei dem Laborexperiment sah ein Teil von 20 Testpersonen einen Film, in dem ein Mann mit einer Kamera von A nach B läuft und den gleichen Weg wieder zurück. Die andere Gruppe bekam einen Film zu sehen, in dem der Mann eine andere Rückwegroute benutzt.
Fehlende Erinnerung
Durch Befragungen kamen die Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass denen, die den Film sahen, in dem der Kameramann den gleichen Weg zurückgeht, der Rückweg kürzer vorkam als der Hinweg. Grund dafür sei das Bewusstsein der Teilnehmer, dass sie sich überhaupt auf dem Rückweg befanden. Und das verschobene Zeitverhältnis liege laut Studie einfach daran, dass Personen Probleme damit haben, sich an den Hinweg zu erinnern.
Kritik an Laborsituation
Manche Kritiker unterstellen der Studie, keine wirklich überzeugenden Mechanismen für den Beweis einer Ursache für das Phänomen darzustellen, außerdem bringe eine Laborsituation ohnehin immer Schwierigkeiten mit sich: „Die Übertragbarkeit ins echte Leben ist die Herausforderung, denn im Labor werden Faktoren immer isoliert untersucht“, sagt die Universitätsprofessorin Katja Corcoran vom Psychologie Institut der Universität Graz.
Dass die Fähigkeit sich an den Hinweg zu erinnern ausschlaggebend ist, hat aber auch der niederländische Forscher Niels Van de Ven von der Universität Tilburg im Jahr 2011 herausgefunden. Und seine Studie verlief nur zum Teil im Labor.
Zerstörte Erwartung
Er ließ einen Teil der 350 Testpersonen eine Busreise, einen zweiten einen Ausflug mit dem Fahrrad machen und den dritten im Labor das Video einer Radtour ansehen. Van de Ven kam zu dem Ergebnis, dass die Zeit, die wir für die Hinfahrt benötigen, oft unterschätzt und deshalb als lange empfunden wird. Wegen der langen Anreise stellen wir uns automatisch auch auf eine elendslange Rückfahrt ein. Doch diese Erwartung wird zerstört, denn die Heimfahrt dauert doch nicht so übertrieben lange, wie wir uns erwartet haben – sie kommt uns daher kürzer vor. Der Rückreiseeffekt verschwand bei dem Experiment übrigens, wenn die Teilnehmer mental ausgetrickst wurden und ihnen schon vorab angekündigt wurde, dass ihnen die Anreise lange vorkommen werde.
„Wenn ich mich vergleiche, gibt es zwei mögliche Ergebnisse: Assimilation oder Kontrastierung.“– Katja Corcoran
Temporale Vergleiche
Der Rückreiseffekt hat also mit subjektiver Zeitwahrnehmung zu tun. In Österreich beschäftigt sich zum Beispiel Katja Corcoran vom Institut für Psychologie der Universität Graz damit. Die Universitätsprofessorin kommt aus der Sozialpsychologie und sieht sich an, wie temporale Vergleiche zwischen dem Selbst und der eigenen Vergangenheit oder Zukunft die jetzige Einschätzung beeinflusst: „Wenn ich mich vergleiche, gibt es zwei mögliche Ergebnisse: Assimilation oder Kontrastierung.“ Das bedeutet ich vergleiche mich entweder gerne mit dem vergangenen Ich, oder ich lehne es ab. Zum Beispiel: „Früher war ich sportlicher. Jetzt bin ich es ja eh auch noch oder jetzt bin ich es nicht mehr, weil…“. Das hängt von der Zeitwahrnehmung ab – je weiter weg das vergangene Ich ist, mit dem ich mich vergleiche, desto eher kommt es zu dazu, dass ich es lieber verdränge.
Fazit
Erinnerung an ein Ereignis wirkt sich auf die aktuelle Stimmung aus und darauf, wie wir mit einem Ereignis umgehen. „Wenn wir etwas positiv erleben vergeht die Zeit schneller“, sagt Corcoran. Was wir selbst oder Eltern mit quengelnden Kindern im Auto aus der bisherigen Forschung lernen können? Angenehm verbrachte Zeit verkürzt die Zeiteinschätzung. Also Kinder beschäftigen und vorab keine optimistischen Schätzungen zur Reisedauer geben. Man könnte immer wieder betonen, dass die Fahrt ganz lange dauern wird, dann wird zumindest die Rückfahrt als kürzer empfunden.
Auf der Plattform PLOS ONE kann jeder Forscher und jede Forscherin Studien, solange sie den Akzeptanzkriterien entsprechen, veröffentlichen und für die breite Masse frei zugänglich machen.
Text: Magdalena Meegraf