Über 90 Jahre Wissenschaft auf Celluloid. Diesen Schatz des Österreichischen Bundesinstituts für den wissenschaftlichen Film (ÖWF) gibt es nun einfach zum Durchklicken online. Das ÖWF existierte zwischen 1962 und 1987. Seine Aufgabe war es, wissenschaftliche Filme herzustellen, zu sammeln und zu verleihen. Rund 800 Filme sind dabei entstanden – 400 davon sind ab nun online abrufbar. Ein Team aus rund 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern begleitete die filmische Inszenierung aktueller Wissenschaft und Forschung. Produziert wurden die Werke gemeinsam mit Universitätsinstituten. Besonders aktiv dabei waren die Ethnologie, die Biologie, die Medizin und die Psychologie. Da fuhren Teams schon einmal nach Südamerika, um den Flügelschlag einer Libelle zu erforschen und zu dokumentieren. Oder sie führten, gut ausgeleuchtet und vor den laufenden Kameras, Operationen am offenen Froschherz durch. Alles für die Wissenschaft. Heute nimmt sich die Österreichische Mediathek als Teil des Technischen Museums Wien des ÖWF-Archivs an. Wir haben mit Gabriele Zuna-Kratky, der Direktorin des Technischen Museums Wien und dem Direktor des Österreichischen Filmmuseums, Alexander Horwath, über die Magie dieser Streifen, über filmische Codes und den Glauben an Film als Fenster zur Realität gesprochen.
Wer war denn das Zielpublikum der Filme, hauptsächlich Studierende und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler?
Zuna-Kratky: Ja, absolut. Da ging es nicht um eine Universum-Geschichte, die einer breiten Bevölkerungsschicht zugänglich gemacht werden sollte, sondern um Studierende und andere Uni-Institute.
Horwath: Wobei es aus Sicht der Filmgeschichte im Allgemeinen außerordentlich spannend ist, dass es natürlich so was wie einen „puren“, von diesen populistischen Aspekten befreiten, Zugang nicht gibt. Auch der wissenschaftliche Film, der meint, selbst höchst wissenschaftlich zu verfahren und sich an ein wissenschaftliches Zielpublikum richtet, operiert natürlich auf der Grundlage derselben ausgehölten ästhetischen Codes und Konventionen wie sämtliches Filmschaffen. Diese Sammlung als einen historischen Korpus zu betrachten ist jedenfalls faszinierend. Die verschiedenen Geschmacksmuster schlagen sich da genauso nieder wie in Melodramen oder Werbefilmen der jeweiligen Zeit. Sobald man das Werkzeug Film verwendet, kommt man nicht darum herum, dass man visualisieren muss.
„Schon in 30 Jahren werden und die Menschen werden lachen, wie wir uns Wissenschaft vorgestellt haben.“ – Alexander Horwath
Kann man ablesen, dass sich der wissenschaftliche Film immer mehr den Codes des Kinos angenähert hat?
Horwath: Das darf man sich nicht als Fortschritt vorstellen, die Filme waren den Codes der Zeit immer mehr oder weniger nahe. Auch die Vermittlungsfunktionen die wir heute punkto Wissenschaft im Internet erleben sind genauso historisch begrenzt und verkürzt – nur fällt es uns heute nicht so auf, weil wir uns in dieser Norm der 2010er Jahre bewegen. Es kommt uns normal vor. Schon in 30 Jahren wird das kultifiziert werden und die Menschen werden darüber lachen, wie wir uns das vorgestellt haben.
„Die Filme waren immer ein Konstrukt und keine „Realitätskonserve“, wie konzeptionell gedacht.“ – Gabriele Zuna-Kratky
Wo liegen die größten Herausforderungen für die Darstellung von Wissenschaft im Film?
Zuna-Kratky: Für die damaligen Filmemacher/innen lagen die Herausforderungen darin, dass sie um wissenschaftliche „Objektivität“ bemüht waren – ein Anspruch, der in der Realität vor allem im Bereich der Sozialwissenschaften zum Scheitern verurteilt war. Der entstandene Film war immer ein Konstrukt und keine „Realitätskonserve“, wie konzeptionell gedacht.
Horwath: Es kommt ja zum Teil auch Sprache vor, etwa die lateinischen Namen der Fruchtfliegen und der Fische. Da merkt man, ok, das verstehen nur jene, die das auch studieren. Die können auch immer noch von den Filmen profitieren, von der Mikrokinematographie, von den Zeitlupen und Zeitrafferaufnahmen – das kann heute noch einem innerfachlichen Kreis sehr sinnhaft vermittelt werden. Einem allgemeinen Publikum sollte man aber den kulturgeschichtlichen Rahmen der Idee, Wissenschaftsfilm zu machen vermitteln. Hollis Frampton meinte ja, der Film sei die ‚last machine‘ – die letzte große Erfindung des mechanischen Zeitalters vor dem Digitalen. Da ist es schon wichtig, zu zeigen, wie diese Maschine eingesetzt wurde, um Wissen zu schaffen. Film ist eine Maschine, die Wissen schafft.
Zuna-Kratky: Es gibt für Medienwissenschafter aber auch für ein allgemeines Publikum viele Zuckerln in dieser Sammlung, die wirklich sehr unterhaltsam sein können.
Horwath: Ich finde ja großartig, dass ausgewählte Filme aus dem Heute kommentiert wurden. Einen habe ich mir genauer angesehen – Timghriwin – Kollektive Erstverheiratungen im Hohen Atlas. Da gibt es einen Kommentar vom wissenschaftlichen Leiter, der auf den Film so blickt, als wäre er ein transparentes Fenster zur Realität. Der Filmschaffende Said Manafi spricht dagegen in seinem Kommentar darüber, wie sie künstliches Licht verwendet haben und dieser Stamm zum ersten Mal künstliches Licht erlebt hat. Der macht bewusst, dass wir das nur sehen, weil eben ein Team mit künstlichem Licht kam. Der dritte Kommentar, ein visueller Anthropologe, macht darauf aufmerksam, wie hier inszeniert wurde. Der äußert einen Generalverdacht, der von Historikern dem Film gegenüber gerne kommt, meiner Meinung nach aber auch zu kurz greift. Weil jeder sprechende Vermittlungsakt, etwa auf der Uni im Hörsaal, dem Gegenstand gegenüber genauso lückenhaft und „deformierend“ ist wie das Medium Film.
Es gab ein fixes Team im ÖWF?
Horwath: Das Institut selbst hat sogar produziert. Die Unis haben den Wunsch geäußert,..
Zuna-Kratky:…und der Forscher war dann mit dabei, hat die Fragen gestellt, den Forschungsgegenstand definiert. Das Filmemachen hat das Team des Bundesinstituts für den wissenschaftlichen Film (ÖWF) gemacht. Als dieses Institut aufgelöst wurde, kam ein Teil der Mitarbeiter in die Mediathek und arbeitet zum Teil bis heute weiter.
Welche Filme haben es Ihnen besonders angetan und warum?
Zuna-Kratky: Skurril sind vor allem manche Filme aus dem Fachbereich Psychologie, wie etwa: Die Umkehrbrille und das aufrechte Sehen.
Horwath: Die Menschen, die diese Brille tragen werden gefilmt und greifen ständig ins Leere. Da nimmt einer eine Kaffeekanne und gießt sie ins Nirgendwo. Man sieht daran sofort, dass die Mittel des Unterhaltungskinos, wie etwa Slaptstick, auch von einem wissenschaftlichen Team benutzt werden.
Zuna-Kratky: Besonders angetan hat es mir auch der Film Thermalstollen Bad Gastein-Böckstein aus dem Jahr 1956. Der Film vermittelt nebenbei so viel an Zeitkolorit und Rollenverständnis, zeigt, wie schnell Wissenschaft veralten kann und ist vielschichtig auch in dem, was nicht gesagt wird: Die Errichtung dieses Stollens erfolgte durch Zwangsarbeiter in der NS-Zeit.
Was kann man aus diesen Filmen alles lernen?
Horwath: In meiner Schulzeit war ja der Lehrfilm so ziemlich das fadeste, ödeste, unwichtigste. Wenn man aber draufkommt, was sich alles in solchen Filmen miterzählt, dann tut sich ein irres Reich auf. Das leistet jetzt diese Website. Seit in den vergangenen 20 Jahren diese Institute geschlossen wurden, beginnt verstärkt bei Künstlern die Erkenntnis zu wirken, was man aus diesen Filmen alles schöpfen kann. Vielleicht auch etwas ganz anderes, als die Autorinnen und Autoren der Filme wollten.
Zuna-Kratky: Historisch betrachtet muss man schon berücksichtigen, dass in Zeiten der Tafel-und-Kreide Pädagogik die Reizschwelle sehr niedrig war. Da war jede Abwechslung, jede Unterbrechung und sei es durch so einen Film, sehr aufregend. Jetzt, mit dem anderen Blickwinkel, kann es wieder aufregend sein.
Horwath: Jetzt hat man ständig laufende Bilder und Internet. Alle haben ihre Smartphones an – jetzt kann der Bruch durch einen historischen Wissenschaftsfilm auch wieder einen Spark auslösen und einen interessanten Abstand ermöglichen.