Irgendwann in den vergangenen Jahren verwandelte sich der banale Baumarkt in ein Abenteuerland für Individualisten. Hol‘ Dir alles, was Du für dein persönliches Projekt brauchst. Die Märkte wurden zu Wunderkammern für Hobby-Bastler und zu Ausstattern für die Verwirklichung persönlicher Bau-Träume hochgejazzt. Friedrich Idam kann da nur lachen. Oder vielmehr: weinen. Für ihn sind die Baumärkte genau das Gegenteil dieser Action-Inszenierung: Zentralorgane für normiertes Bauen und Auslieferungsstellen für Mainstream-Kitsch. „Wenn man natürliche Baustoffe, wie Holz, Ziegel oder Stein nur mehr als dünne „Tapeten“ über eine Betonkern klebt oder durch Plastikimitate ersetzt, geht genau das verloren was man eigentlich gesucht hat: des Echte, Unverfälschte“, sagt Idam.
Mit seinen Ideen steht Idam alles andere als alleine da. Er ist Teil des Netzwerks-Baukultur-Salzkammergut, in dem Planer, Bauhistoriker, Bauphysiker, Bauökologen und Handwerker zusammenarbeiten. Gemeinsam geht es ihnen um eine Baukultur, die in allen Belangen in die Region eingebettet ist. Mit Nostalgie habe das nichts zu tun, so Idam, der an der HTL Hallstatt unterrichtet. Seine Philosophie ziele vielmehr darauf ab, die Intelligenz des Traditionellen nicht ohne Nachdenken gegen moderne Bau-Trends einzutauschen.
Wie definieren sie den „aktuellen Mainstream“ im Bauen?
Mir fällt dazu als erstes das Bauen mit industriell vorfabrizierten Bauteilen ein. Ganz egal wo man hinschaut: von der Architektenplanung bis zum Häuselbauer, man findet kaum mehr lokal handwerklich oder gar in Eigenregie hergestellte Bauelemente. Als nächstes denke ich an Passivhäuser, die, um Energie zu sparen mit Dämmstoff verkleidet – vermummt – werden. Dabei muss man ernsthaft die Frage stellen, ob die Energie, die zur Produktion und zum Transport in diese Dämmstoffen gesteckt wurden, in den kurzen Lebenszyklen dieser Häuser jemals wieder hereingespielt wird.
Was wären denn Beispiele von „Imitationskitsch“, gegen den sich ihr Netzwerk so vehement wendet?
Die Industrieprodukte die über Baumärkte vertrieben werden und flächendeckend das Land überziehen.
Selbst bauen, nachhaltig und regional-bewusst – diese Kriterien liegen im Trend. Sie sagen, dass diese Baukultur bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts normal war. Was hat diese Selbstverständlichkeit durchlöchert?
Materiell war vor allen Dingen der erste Weltkrieg eine Zäsur, als die natürlichen Rohstoffe aufgebrauch waren wurden erstmals im großen Stil Ersatzstoffe eingeführt, das gilt auch für das Bauwesen. In der Weltwirtschaftskrise tauchten dann erstmals Gedanken auf, die Lebensdauer von Gebäuden durch geplante Obsoleszenz zu verkürzen. Durch die Verdrängung hochwertiger, regional verfügbarer, einfacher Baustoffe und Bauweisen durch billig produzierte ist dieses Ziel heute bereits erreicht. Vergleichen Sie etwa einen simplem Massivholzbau mit Lehm- oder Kalkverputz aus dem 18. Jahrhundert mit dem hochkomplexen Aufbau einer Passivhauswand, die Lebensdauer dieser beiden Systeme unterscheidet sich mindestens um den Faktor 10.
Dazu kommt ein gesellschaftlicher Wandel, den ich zum Teil noch selbst erlebt habe. Meine Eltern haben ihr Haus Anfang der 1960er Jahre mit etwa 75% Eigenleistungsanteil gebaut, und das machten damals Viele so. Kredite waren kaum zu bekommen und die Zinsen waren hoch. Heute ist es der Regelfall, dass sich junge Leute ein paar Hunderttausend Euro Kredit aufnehmen und sich ein Fertigteilhaus hinstellen lassen.
Haben sich die Überlieferungsarten von regionalem Wissen und Können der Zeit angepasst? Wenn nicht, woran fehlt es?
Natürlich spielt das Internet eine große Rolle beim Wissensangebot. Was meiner Meinung nach fehlt, ist die Weitergabe von Wissen und Können innerhalb der Familie beziehungsweise persönlich von Mensch zu Mensch. Diese Lücke füllen zum Teil Lehrer. Ich bin davon überzeugt, dass der unmittelbare persönliche Austausch im Lernprozess von manuellen Fertigkeiten unverzichtbar ist.
Was sind die gefährlichsten Unterbrecher im Austausch zwischen alter und junger regionaler Baukultur?
Insbesondere in Österreich und Deutschland ist ein breiter gesellschaftlicher Grundkonsens zu beobachten, dass, vereinfacht ausgedrückt, das Neue gut und das Alte schlecht sei, dass Fortschritt positiv und Wachstum notwendig ist. In dieser Grundstimmung wird das Erfahrungswissen der älteren Generation leicht als veraltet abgetan und nicht angenommen. So wurde die Linie der Wissensweitergabe zwischen den Generationen unterbrochen.
„Wie ist der Ressourcenverbrauch zu rechtfertigen, wenn der Lebenszyklus moderner Häuser nur noch 30 Jahre beträgt?“ – Friedrich Idam
Wo ziehen sie die Trennlinie zwischen der Übersetzung alter Baukultur ins Jetzt und einem verklärenden Blick zurück? Anders gefragt: Können Sie mir ein konkretes Beispiel nennen, wie eine alte Idee im Heute Wurzeln schlagen kann ohne museal zu wirken.
Diese Fragestellung kommt vielleicht aus dem vorhin von mir genannten Grundkonsens. Warum verknüpfen Sie automatisch den Begriffe „alt“ mit „museal“ und „verklärend“? Ich bin davon überzeugt, dass die Fortschrittsgläubigkeit auch das Bauwesen in eine tiefe Krise geführt hat. Wie ist der Ressourcenverbrauch zu rechtfertigen, wenn der Lebenszyklus moderner Häuser nur noch 30 Jahre beträgt?
Konkret: Lehmbauten werden seit Jahrtausenden ausgeführt. Das Material ist leicht zu beschaffen und die Bautechnik kann relativ schnell erlernt werden. In den Krisenzeiten nach den Weltkriegen wurde auch in Österreich viel mit Lehm gebaut. Mit jedem Wirtschaftsaufschwung kam der Baustoff Lehm wieder in Verruf, und wurde mit Begriffen wie „ärmlich“ und „altmodisch“ besetzt. Wenn Sie Nachrichte über Erdbebengebiete hören, heißt es oft abwertend, dass dort „nur einfache Lehmbauten“ vorhanden wären. Mittlerweile können die hervorragenden bauphysikalischen Eigenschaften von Lehmbauten mit naturwissenschaftlichen Argumenten nicht mehr bestritten werden, und der Baustoff hält nun auch in der Mainstream Architektur Einzug.
„Sie leben in einem Haus, das ausschließlich aus natürlichen -„veralteten“ – Materialien gebaut ist, sicher gesünder als in einem Passivhaus.“ – Friedrich Idam
Welche traditionellen Baumaterialien und Konstruktionen passen beim besten Willen nicht mehr ins Heute?
Jedes traditionelle Baumaterial, das Menschen über Jahrhunderte eine sichere Hülle geboten hat, passt auch ins Heute. Sie leben in einem Haus, das ausschließlich aus natürlichen -„veralteten“ – Materialien gebaut ist, sicher gesünder als in einem Passivhaus.
Ein Spaziergang durch das Salzkammergut im Jahr 2050 – woran erkennen Sie, dass sich ein Bewusstsein für regionale Baukultur durchgesetzt hat?
Für 2050 bestehen schon gute Chancen, dass die Vollwärmeschutzverkleidungen, die jetzt gerade auf die alten Häuser geklebt werden, bereits wieder heruntergefallen sind. Die Transportkosten werden in 35 Jahren so hoch sein, dass es sich wieder rechnen wird, lokale Baustoffe zu verwenden. Wir werden über Wege spazieren, deren Oberflächen nicht mehr asphaltiert sind, sondern mit „Wegschotter“, einem Kalkschotter mit hohen Feinanteilen, belegt sind. Die Fassaden der Häuser werden mit senkrechten Holzschalungen aus unterschiedlich breiten Bretter, oder mit Kalkputzen versehen sein, die aus lokal anstehenden Zuschlägen gemischt sind. Und die Fenster wird man wieder öffnen können.
Die Veranstaltung findet morgen, 28. Mai 2015, von 11.00 – 16.30 Uhr an der Universität Innsbruck statt. Ort: Archiv für Baukunst, Forschungsinstitut der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck im Adambräu, Lois Welzenbacher Platz 1. Das Programm findet sich hier.
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