Hunderte Selbsthilfe-Bücher gelesen, tausende To-Do-Listen erstellt, Millionen Motivationssprüche an den Kühlschrank gehängt – und nichts hat funktioniert. Schrödinger sei Dank, habe ich aber noch einen aller letzten Plan: Gamification.
Wieder einmal führt also kein Weg am Selbstversuch vorbei. Und ganz ehrlich: wer mag es denn nicht, ein Spiel zu gewinnen? Neues Lebensmotto: gamify your life. Mein Ziel ist es nämlich, nicht nur eine Vielzahl an Games zu testen – sondern sie zu einem Spiel des Lebens zu verknüpfen.
„Hemmungslos bediene ich mich bei allen Klischees, die mir in den Sinn kommen: mehr Sport, gesunde Ernährung, weniger Rauchen, mehr Zeit für mich selbst….“
Zuerst müssen Rahmenbedingungen bewertet, Möglichkeiten erkannt und potentielle Ziele definiert werden. Hemmungslos bediene ich mich bei allen Klischees, die mir in den Sinn kommen: mehr Sport, gesunde Ernährung, weniger Rauchen, mehr Zeit für mich selbst, Aufgaben erledigen, bevor es eng wird und sowieso einfach viel konsequenter sein – in allem. Solche Aktivitäten durch die Einbindung von Spielmechaniken spannender zu gestalten – das ist ja die Idee hinter Gamification. Daraus ergibt sich auch gleich eine grundlegende Frage: Was motiviert mich? Die Antwort: probieren geht über studieren!
Die Wunderwaffe für die blitzblanke WG
Für den ultimativen Test kombiniere ich eine Handvoll Apps mit verschiedenen Belohnungsmechanismen: von kooperativ bis kompetitiv, Belohnung oder Bestrafung – jeweils meiner persönlichen Ausgangssituation angepasst.
Jeder WG-Bewohner kennt die Problematik: niemand fühlt sich für den Haushalt zuständig, die Gemeinschafträume sehen dementsprechend aus. Das kann sich ändern – mit ChoreWars. Das Erhalten von Punkten für das Aufräumen der Kollateralschäden der vorangegangenen Nacht ist offensichtlich ausreichende Motivation. Durch den ständigen Vergleich mit den Mitbewohnern steigt die allgemeine Produktivität – und wir wissen endlich, wer wirklich die ganze Arbeit erledigt.
“Irgendwann in der Schule gelernt, aber längst vergessen.” – Da hilft Gamification.
Nachdem ich für läppische 10XP den Müll rausgebracht habe, mache ich mich auf dem Weg ins Büro. In der U-Bahn sitzend, Kopfhörer im Ohr, Smartphone in der Hand. Wie kann ich diese Zeit sinnvoll nutzen? Das Konzept von DuoLingo zum Lernen einer Sprache ist simpel: kurze Challenges, die Vokabular oder Grammatik trainieren – und dabei extrem repetitiv sind. Dank der Wiederholungen bleibt einiges hängen, das dynamische Level-System ist ein angenehmer Zeitvertreib, kurzweilig und interessant. Persönlicher Tipp: hilfreich ist das Spiel vor allem bei Sprachen, die man “irgendwann einmal in der Schule gelernt, aber längst vergessen” hat.
Im Büro sitzend arbeite ich an der dritten Challenge: Kaffee- und Zigaretten-Pausen minimieren. Die Vielseitigkeit von SuperBetter lässt noch eine Unmenge an weiteren Quests zu, beinahe jedes erdenkliche Lebensziel ist in ein Motivationsspiel verpackt. Ich entscheide mich zuerst für das Abgewöhnen der Nikotin- und Koffeinsucht – und während letzteres gut funktioniert, entpuppt sich “quit smoking” als die größere Herausforderung. Dank der unterschiedlichen Belohnungsmechanismen entsteht aber eine Flexibilität und Vielseitigkeit, weshalb mir das Spiel trotz mäßigem Erfolg ans Herz wächst.
Wieder zu Hause angekommen erwartet mich ein besonderer Leckerbissen. Manchmal ist es einfacher, “vor etwas wegzulaufen” als schlicht und einfach “zu laufen”. Besondere Motivation für sportlichen Höchstleistungen? Zombies, Run! Das Spiel kombiniert nicht nur Tools wie Schrittzähler oder GPS Tracking – es beinhaltet auch eine spannende Idee: als einer von wenigen Überlebenden bin ich auf Missionen unterwegs, bei denen ich regelmäßig von Zombies überrascht und zum Laufen animiert werde. Nichts für schwache Nerven!
Mein Gamification-Klischee-Programm wird durch MindBloom abgerundet – in seiner Konzeption quasi das non-plus-ultra in Sachen Gamification. Das “Life Game” beginnt relativ simpel: Schritt für Schritt definiere ich Ziele, Motivation und Belohnungen. Durch diese Freiheiten besteht tatsächlich die Möglichkeit, sämtliche Lebensaspekte zu „spielifizieren“. Andererseits steht und fällt das Prinzip mit der Ehrlichkeit des Nutzers. In meinem Experiment versuche ich, meinen Erfolg in den anderen Spielen mit MindBloom zu dokumentieren. Ein blühendes Pflänzchen verrät mir, dass ich momentan nicht schlecht dabei bin – zumindest für kurze Zeit bin ich gefesselt.
Nichts für To-Do-Listen-Erlediger
Gamification ist sicher nicht für jeden. Jene, die bereits ohne To-Do-Listen alles zeitgerecht erledigen, benötigen sowieso kein Spiel dafür. Stapelt sich aber ab und zu das Geschirr, weil einfach mal die Motivation fehlt, den Saustall zu beseitigen, dann könnte Gamification ein spannender Ansatz sein.
Trotzdem funktioniert es nicht in jeder Situation oder bei jedem Problem. Der springende Punkt ist die Mechanik: manche Spieler sind eher kompetitiv, andere haben ein kooperatives Naturell. Oft funktioniert positive Ablenkung, in anderen Fällen wäre eine Belohnung sinnvoller. Im Laufe meines Selbstversuches wird mir eines jedenfalls immer bewusster – aus welcher Vielzahl an Motivationen Menschen grundsätzlich handeln. Das wird bei der Spielifizierung ziemlich deutlich. Hier den richtigen Nerv zu treffen, ist wohl die größte Herausforderung für die Entwickler von Gamification-Apps.
Ich werde in jedem Fall das ein oder andere Spielchen beibehalten, andere wieder weglegen und weiter mit Gamification-Ansätzen experimentieren. Ich bin auch sehr gespannt, was Bildungspsychologin Barbara Schober zu meinem Selbstversuch zu sagen hat. Vielleicht kann sie mir erklären, warum gewisse Mechanismen in manchen Situationen besser funktionieren, als andere. Das Interview gibt’s in Kürze bei Schrödingers Katze.