Zahlen können bockige Kreaturen sein. Widerspenstig und so ganz und gar immun gegen jede Art von Erinnerung. Dabei können wir vielen Jahreszahlen gar nicht aus dem Weg gehen. Wir müssen sie uns einfach merken. Auch Judith Kroisleitner und Kathrin Heimel gehören nicht zu den begnadeten Zahlen-Merkerinnen.
Die beiden haben dagegen etwas unternommen. Ihr Rezept bezaubert durch seine Einfachheit. Mit ihren Dat1llums verbinden sie nämlich Jahreszahlen mit den dazugehörenden Ereignissen. Obwohl „verbinden“ für die grafische Finesse der beiden der falsche Ausdruck ist. Sie schaffen es, dass sich Zahl und Ereignis zu einem gemeinsamen Ganzen vereinen, organisch fließend und dadurch einprägsam. Ein Dat1llum wird dann genau zu dem Löffel Zucker, der die bittere Medizin des Zahlen-Merkens sanft und angenehm ins Gehirn flutschen lässt.
„Was kann der Mensch brauchen?“
Begonnen hat alles mit einem Brainstorming und der simplen Frage: Was kann der Mensch brauchen? „Von mir kam dann die Idee, dass ich mir Jahreszahlen ganz schlecht merken kann“, erinnert sich Kroisletner. Das war 2011. Kroisleitner und Heimel studierten im 2. Abschnitt an der Angewandten und kannten sich schon aus gemeinsamen Projekten. Die Idee schlummert eine Weile vor sich hin, bis sie rechtzeitig zum Diplomprojekt wieder entdeckt, erweckt und realisiert wird.
Aus unzähligen Versuchen, Zeichnungen, Skizzen und Scribbles destillieren die beiden schließlich Kriterien für ihre Dat1llums. Ein mühsamer Prozess, trial & error und viel, viel kreatives Herzblut, das in die Dat1llum-Selbstfindung fließt. „Für die Gründung Roms hatten wir sicher 7 verschiedene Versionen“, erinnert sich Katrin Heimel. „Und die waren alle mies“, setzt Judith Kroisleitner nach. Was hat dabei nicht funktioniert? „Oft ist es so, dass die Zahl zu willkürlich war, weil die Illustration sich der Form nicht angepasst hat. Das sind Mechanismen, auf die wir erst mit der Zeit kamen“, erinnert sich Kroisleitner. „Zum Beispiel muss die Zahl ein formgebendes Element sein“, verweist Kroisleitner auf ein wichtiges Kriterium.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Vimeo. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
So viel Zahlenwerk hinterlässt natürlich Spuren, die selbst die Nächte der beiden verzierten. „Man träumt dann auch von Zahlen“, erinnert sich Kathrin Heimel. „Ganz am Anfang, als alles noch vage war, hab ich einmal davon geträumt, wie super das alles aussieht. Ich hatte alles genau vor mir – und beim Aufwachen hab ich alles wieder vergessen“, blickt Kroisleitner auf die intensive Startphase zurück.
„Wir haben die Null sehr gern, die ist echt dankbar.“ – Judith Kroisleitner und Kathrin Heimel über die Natur der Zahlen
Ihre Dat1llums haben den Zahlen Leben und Charakter verliehen, bloßes Nummernwerk sind sie für Kroisleitner und Heimel nicht mehr. Heute hat jede Zahl für die beiden einen ganz eigenen Charakter – je nach Dat1llierbarkeit. Heimel ist der 1er sehr sympathisch geworden, sie denkt dabei an eine Kerze. Der 2er ist nicht unbefleckt, weil „alle mit denen wir gesprochen haben, im 2er immer einen Schwan sehen.“ Ein 3er dagegen schreit für beide nach Geheimratsecken, ist aber ein schwieriges Unterfangen, „weil die Verbindung von eckig mit rund im Motiv nie so leicht zu finden ist“, erklärt Kroisleitner. Der 4er ist ein Sessel, der 5er erinnert grafisch an den 3er und gilt daher als zweiter Problembär unter den Zahlen. Der 6er ist wieder sympathisch, weil vielseitig, der 7er zwar dynamisch, aber im Dat1llum-Universum ein Mauerblümchen. Der 8er kam schon zu oft vor und wurde daher zur Herausforderung, und der 9er hat seinen Charme durch die Lawine an historischen Daten im 20. Jahrhundert verschleudert. Die 0 steht für die beiden für ein Gesicht. „Die haben wir sehr gern, die ist echt dankbar.“
Auch leere Kilometer haben es in sich
Dass ihre Idee gut war, spürten sie schon früh. „Das Problem war, dass sich jeder, dem wir es zeigten, etwas ganz anderes vorstellte als wir. Das hat uns in verschiedene Richtungen gelenkt“, denkt Heimel zurück. „Wir wollten dann alle Bereiche abdecken. Das ging aber nicht. Dann fokussierten wir uns auf eine Richtung.“ Doch selbst diese Verwirrung hatte ihr Gutes, wie Judith Kroisleitner meint: „Im Grunde sind wir auf unsere Ursprungsidee zurückgekommen. Man könnte sagen, dass wir viele leere Kilometer gemacht haben, aber fürs Endergebnis ist es immer besser, wenn man alles ausprobiert.“ Heute wissen die beiden genau, was sie wollen und was für sie wichtig ist. Für jedes Dat1llum-Thema wählen sie einen eigenen Stil. Technische Illustrationen oder das Thema Wien kommen also mit ganz eigener Handschrift daher.
Der Dat1llum-Jam
„Der erste Schritt ist immer, dass wir uns auf die Couch setzen“, grinst Kroisleitner. „Wir schnappen uns dann beide unsere Skizzenbücher, schreiben die Zahl auf und recherchieren. Was war da? Wie hat das funktioniert? Was wären mögliche Motive? Dann schauen wir, wie wir die Zahl ins Motiv einbauen können oder umgekehrt, was wir aus der Zahl machen können.“ Vor 80 Jahren fand Erwin Schrödingers Katzen-Experiment statt. Was fällt den beiden dazu ein?
Es ist ein Spontan-Versuch mit rohen Zutaten. Anfangs sind die beiden zögerlich, doch sobald das improvisierte Skizzenbuch vor Kathrin Heimel liegt, lässt sich der Ideenstrom nicht mehr aufhalten. Es wird gelacht, versucht, die Zahlen grafisch zu „lesen“, das Dat1llum zu füllen.
Bei der gelungenen Diplomarbeit soll es jedenfalls nicht bleiben. Es gibt eine Idee für eine App und vor kurzem wurden die beiden mit dem ‚Rookie Of The Year‘ des Creativ Clubs Austria ausgezeichnet. Jetzt wird ein Verlag gesucht und an der konkreten Umsetzung gefeilt. Vielleicht gibt’s dann bald ein Dat1llum-Selbstporträt mit der Jahreszahl 2015 und, darin eingewoben, zwei erfolgreich grinsenden Jung-Designerinnen.
Dat1llum kann man jetzt auch auf Facebook virtuell gern haben.