Liebes Tagebuch,
endlich! heute ist der letzte Tag meines Selbstversuchs. Zeit für einen Rückblick. Zu Beginn war vor allem eins: Neugier! Ich hatte schon so viel über Soylent gelesen, gehört, gesehen und habe selbst darüber gesprochen, bevor ich es das erste mal probieren durfte. Dabei hatte ich schon zu diesem Zeitpunkt gemischte Gefühle, vor allem das Fehlen von Beißen und Kauens war unvorstellbar. Auf Genuss hatte ich hingegen schon öfter verzichtet und ich war gespannt, wie viel Zeit ich mir sparen würde. Die Tatsache, dass mir viele meiner Freunde den Vogel zeigten war auch nichts Neues – also hatte ich eigentlich fast nichts zu verlieren.
Und jetzt? Die Neugier ist verflogen und, ehrlich gesagt, war ich vor allem geschmacklich sehr bald gelangweilt. Das hatte ich zwar erwartet, die anfängliche Aufregung hielt aber deutlich kürzer, als ich gedacht hatte. Ein großer Vorteil hingegen war, dass ich nun regelmäßig ein Frühstück zu mir nahm – wenn auch ausschließlich in flüssiger Form. Ich hatte überhaupt von Anfang an eine äußerst positive, körperliche Reaktion und fühlte mich weder schwach noch kränklich, sondern eigentlich topfit.
Kauen, ich vermiss dich!
Im Endeffekt war es jedoch die Psyche, die mir einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Während die ersten zwei Tage aufgrund von Isolation relativ einfach durchzustehen war, hatte ich spätestens ab Mittwoch unglaubliche Lust auf Genuss. Inwiefern dass an der unvorstellbaren Menge an Angeboten liegt, mit denen man täglich konfrontiert wird, wäre sicherlich eine interessante Fragestellung für eine Gesellschaftsstudie. Auch das Kauen habe ich, wie erwartet bald vermisst – dieses Problem war jedoch einfach mit Kaugummi zu beheben.
Als ich meinen Mitbewohner vor wenigen Minuten nach seinem Fazit gefragt habe, hat er folgendes geantwortet: “Du weißt doch selbst, dass es von Anfang an eine dumme Idee war und es ist genau das passiert, was du erwartet hast.” – damit hat er aber nur teilweise recht. Ich habe begonnen, mir weitaus mehr Gedanken über meine Ernährung zu machen, als ich es jemals getan habe. Das schließt natürlich auch Soylents Kernkompetenz mit ein: die Tatsache, dass es sich um eine äußerst billige und effiziente Möglichkeit handelt, den täglichen Ernährungsbedarf zu stillen. Das ist Soylent – nicht mehr, aber auch nicht weniger.
„Ich bezweifle, dass sich Soylent durchsetzen wird.“
Ich bezweifle, dass sich Soylent durchsetzen wird. Ich stimme mit Hanni Rützler überein, wenn sie sagt, dass es bezüglich der Faktoren Zeit und Stress genügend kulinarisch hochwertigere Alternativen gibt. Für jene, die sich diese nicht leisten können, bietet die FutureFood-Bewegung aber viele Ansätze, sich kostengünstig, aber gleichzeitig ausgewogen und abwechslungsreich zu ernähren. Was ist also von meiner Woche mit Soylent hängen geblieben? Fazit? Kurz und prägnant? Ich würde sagen: “Soylent ist nicht gut, aber es ist besser als nichts.”