Der Diskurs zum Thema Ernährung ist ein vielschichtiger: Umweltbedenken, Ressourcenknappheit oder Fragen des Tierrechts sind nur einige der Beweggründe, die aktuell Diskussionen rund um die Nahrung der Zukunft anregen. Fest steht: alternative Ansätze schießen wie die sprichwörtlichen Pilze aus dem Boden. Schrödingers Katze wirft einen genaueren Blick auf 5 Projekte, die vor allem eines gemeinsam haben: sie provozieren und polarisieren. Gerade das aber zeigt, dass sie einen Nerv treffen.
Fleisch aus der Petrischale
Im Sommer 2013 war es soweit: der erste aus Stammzellen – und damit de facto aus “echtem Fleisch” – produzierte Burger wurde der Welt präsentiert. Verkostet wurde er unter anderem von der österreichischen FutureFood-Pionierin Hanni Rützler. Das Spektakel hatte Sergej Brin, Mitbegründer von Google, mit einer Spende von $ 250.000 erst möglich gemacht. Aber was ist seither aus Mark Posts Projekt, statt einer gesamten Kuh nur deren Fleisch zu züchten, geworden?
Der Professor feilt weiterhin an der Universität von Maastricht an der perfekten Rezeptur. Rützlers Kritik, das Laibchen schmecke etwas langweilig, soll mit der Zucht von Fettzellen gekontert werden. Diese sollen den Muskelzellen die entsprechende Herzhaftigkeit verleihen. Damit stünde das vegane Fleisch mit dem “natürlichen” Vorgänger auch geschmacklich auf einer Stufe. In Sachen Umwelt- und Tierfreundlichkeit hat es diesen längst überflügelt. Bis wir gezüchtetes Fleisch kaufen, oder sogar unser eigenes Fleisch zu Hause züchten können, muss aber noch an einigen Schrauben gedreht werden. Selbst mit der entsprechenden Ausrüstung und geschultem Personal können momentan nur kleine Mengen produziert werden. Die Marktreife wird frühestens in 10 bis 20 Jahren erwartet, so Post. Ob die Gesellschaft bis dahin reif für kultiviertes Fleisch ist, wird sich zeigen.
Die Milchbrauerei
Fermentation – die Umwandlung von Zucker zu Säuren, Gasen oder Alkohol – wird seit beinahe 10.000 Jahren von Menschen genutzt um Nahrungsmittel zu produzieren. Dies galt lange Zeit hauptsächlich für Alkohol und Milchprodukte. Erst vor rund 150 Jahren erkannte Louis Pasteur Mikroorganismen als Verursacher der Gärung. Dieser Durchbruch ermöglicht es uns heute, Bakterien oder Hefe zur gezielten Produktion bestimmter Stoffe einzusetzen. Der aktuelle Craft-Beer-Trend unterstreicht, wie spannend Fermentation sein kann. Das dachten sich auch Perumal Gandhi und Ryan Pandya.
Ihre Idee: Hefe-Zellen mittels molekularbiologischen Methoden so zu trainieren, dass sie Milch produzieren können. 6 Proteine für die Strukur, 8 Fettsäuren für den Geschmack, oben drauf ein bisschen Wasser. In verschiedenen Kombinationen lässt sich dann ganz leicht Kuh-, Ziegen oder sogar Büffelmlich herstellen. Ohne Laktose und ohne den Einsatz von Tieren – “by design”. Das Produkt befindet sich zwar noch in Entwicklung, ein treffender Name wurde aber bereits gefunden: Muufri – sustainable animal-free milk.
100% von allem, was du brauchst
Der Film “Soylent Green” (Jahr 2022… die überleben wollen) mit Charlton Heston erzählte bereits vor über 40 Jahren von einer dystopischen Zukunft, in der sich Menschen aufgrund von Nahrungsmangel vom künstlich hergestellten Soylent Green ernähren. Schlussendlich stellt sich leider heraus, dass die Wundernahrung aus Menschen hergestellt wird. Weniger kannibalisch, aber mit ähnlicher Motivation, ging Software-Entwickler Rob Rhinehart ans Werk, als er sein eigenes Soylent entwickelte: ein Pulver, das – in Wasser gelöst und getrunken – den gesamten Nährstoffbedarf eines erwachsenen Menschen deckt. Auf feste Nahrung kann in Zukunft also komplett verzichtet werden. Theoretisch möglich, aber zu kurzsichtig gedacht – so das Credo der meisten Wissenschaftler. Zu viele Aspekte der Ernährung, unter anderem der Prozess des Kauens, würden vernachlässigt. Schrödingers Katze hat zu diesem Thema ein intensives Gespräch mit Hanni Rützler geführt und einen Selbstversuch gestartet – stay tuned.
Insekten – selbst gemacht
Dass wir in Zukunft offen gegenüber innovativen Alternativen sein müssen, darauf setzt auch Designerin Katharina Unger. Die junge Burgenländerin fand ihre – für manch einen etwas ekelhafte – Antwort jedoch in der bereits sehr weit verbreiteten Kultur der Entomophagie, des Verspeisens von Insekten. Mit einem Paradebeispiel des DIY-Prinzips recherchierte, probierte und bastelte Unger an einer Insektenfarm für zu Hause. Das Resultat erlaubt es jedem Einzelnen, sich gegen das “dysfunktionelle System der Fleischproduktion zu stellen,” so Unger. Die Farm 432 produziert innerhalb von 432 Stunden aus 1 Gramm Fliegeneiern mehr als 2 Kilogram Larvenprotein. Das nutzerfreundliche, ansehnliche Design soll dabei dem Konsumenten die Scheu vor den kleinen Tierchen nehmen. Die Fliegen brauchen keine Nahrung, die Larven fressen Biomüll. Zusätzlicher Bonus: die Larven sind wahrhafte Proteinbomben und haben auch in Sachen Umweltbelastung alle Trümpfe in der Hand.
Ei ohne Huhn?
Der ewigen Frage mit der Henne und dem Ei will Clara Foods endgültig einen Riegel vorschieben. Das motivierte Start-Up hat es sich zum Ziel gemacht, das erste “ex vivo Ei” zu legen. Dieses Projekt ist wohl eine radikale Reaktion auf das Paradigma, man bräuchte für die Produktion von Eiern auch ein Huhn. Ineffizient und nicht mehr zeitgemäß, so die Einschätzung von Clara Foods. Wie lange es dauern wird, bis wir beweisen können, dass vor der Henne das Ei war, lässt sich schwer abschätzen. Es bleibt zu hoffen, dass die $100.000 Förderung von Indie Bio die Entwicklung ein bisschen beschleunigt. Wir halten euch auf dem Laufenden!
Das Titelbild unseres Beitrages zeigt das Herzstück eines waschechten Stammzellenburgers. Es trägt den Titel „A burger made from Cultured Beef“ und stammt von David Parry / PA Wire. Er hat auch Mark Post fotografiert (Professor Mark Post with a burger made from Cultured Beef).