Er begegnet uns im Märchen, in den Schlagzeilen und eventuell im Wald: Der Wolf ist ein Tier, das polarisiert, aber auch fasziniert. In Österreich steht er unter Schutz – er darf also nicht gejagt werden – und er siedelt sich in den letzten Jahren wieder in Österreich an. Damit Mensch und Wolf gemeinsam leben können, braucht es klare Regeln, die Bereitschaft des Menschen, negative Stereotype zu hinterfragen, und fundierte Forschung. Letzteres liefert unter anderem Svenja Capitain. Sie ist an der Veterinärmedizinischen Universität Wien tätig und sagt: „Die Koexistenz mit dem Wolf ist per se möglich – aber wie sich diese Entwicklung nachhaltig umsetzen lässt, wirft noch viele Fragen auf.“
Forschungsinteressen
Die Forschung über den Wolf fokussiert auf mehrere Themen: So befasst man sich mit dem Tier an sich, dessen Verbreitung, Lebensweise und Verhalten und wie sich die jeweilige Anwesenheit des Wolfes bzw. des Menschen aufeinander auswirkt. Auch Nutztiere stehen im Fokus und die Frage, wie diese gemeinsam mit dem Wolf existieren können. „Während die Ausbreitung des Wolfs in Europa von vielen als ein Zeichen für den Naturschutz gesehen wird, kommt es gleichzeitig in einigen Regionen, in denen der Wolf sich wieder ansiedelt, zu Protesten. Wie mit dem Wolf angesichts unserer derzeitigen Tierhaltung umzugehen ist und wann Grenzen zu ziehen sind, wird kontrovers diskutiert“, so die Expertin.
Blick zurück
Um das Verhältnis des Menschen zum Wolf besser zu verstehen, hilft ein Blick in die Geschichte: Lange Zeit rottete man den Wolf aus. Er wurde als Bedrohung gesehen, da er mit zunehmendem Lebensraumverlust Nutztiere des Menschen – wie frei grasende Schafe und Ziegen – gehäuft erbeutete. Zugleich wurde er von der Oberschicht gerne gejagt. Man hetzte gegen den Wolf, mit dem Ziel, Angst und Ablehnung zu schüren. Mit schwindendem Lebensraum gingen für den Wolf Rückzugsorte verloren und bis Mitte des 19. Jahrhunderts verschwanden viele Wolfspopulationen.
Mythen und Erzählungen
Ebenso hilft eine Auseinandersetzung damit, was der Wolf symbolisiert(e) bzw. woher das Bild des gefährlichen Wolfes kommt: In vielen Regionen Europas wurde der Wolf lange bewundert und als Begleiter der Götter betrachtet. Mit dem Wandel hin zu intensiveren Agrargesellschaften ging ein negativer Blick auf den Wolf einher, auch in der christlichen Symbolik wurde er als hinterlistig gezeigt. Daraus folgten negative Darstellungen in Märchen oder sogar Biologiebüchern. „Viele von uns sind mit diesen Geschichten aufgewachsen und zudem ist uns das Leben mit dem Wildtier unbekannt. Diese Unsicherheit trägt verständlicherweise zum Unbehagen vieler Menschen bei“, sagt Svenja Capitain.
Verhalten bei Wolfssicht
Dabei betont die Expertin, dass Angriffe von Wölfen auf Menschen bei uns äußerst unwahrscheinlich sind. „Die Wolfsangriffe im vergangenen Jahrhundert waren in Europa in erster Linie auf tollwütige Wölfe zurückzuführen, eine Krankheit, die bei uns mittlerweile ausgerottet ist, sowie auf überjagte, beutearme Lebensräume, die ebenfalls im heutigen Europa weniger vorkommen.“ Bei Sichtung eines Tieres sollte man Abstand halten und den Wolf im Auge behalten, bis er sich von selbst entfernt. Hunde sollten in Wolfsgebieten angeleint bleiben. Nutztiere müssen geschützt werden: „Hier gibt es viele Maßnahmen wie elektrische Zäune, Herdenschutzhunde und nächtliche Scheunenhaltung. Wie sich diese Maßnahmen kostengünstiger und flexibler gestalten lassen, ist eine Herausforderung, an der intensiv geforscht wird, um Tierhalter*innen besser zu unterstützen.“
Natur- und Wolfsschutz
Mittlerweile hat sich unsere Einstellung gegenüber der Natur verändert, Naturschutz wurde immer wichtiger – und mit ihm der Schutz des Wolfes, der nun als Teil gesunder Ökosysteme betrachtet wird. Ende des 20. Jahrhunderts entstanden Gesetze zum Schutz des Wolfes: „Dieser Schutz ermöglichte es den Wölfen, sich durch Wanderung aus Regionen, in denen stets Wolfspopulationen bestanden (wie etwa Osteuropa und Italien), in weiten Teilen Europas wieder anzusiedeln. Veränderte Landnutzung mit größeren Waldflächen und die regulierte Jagd auf Beutetiere tragen ebenfalls zur Wiederansiedlung des Wolfs bei.“
Gutes Zusammenleben
Aktuell untersucht Svenja Capitain im Team der Arbeitsgruppe Domestikation der Vetmeduni und mit Psycholog*innen der Uni Wien, welche Einstellungen Menschen zum Wolf in Europa haben und wie diese entstehen: Die meisten stehen dem Wolf neutral oder positiv gegenüber. Von vielen wird er als schönes, schlaues und familienorientiertes Tier betrachtet. Diese Meinung wird aber nicht von allen geteilt: „Gerade Menschen, auf deren Lebensweise der Wolf Einfluss nehmen könnte, stehen seiner Präsenz verständlicherweise mit Zweifel gegenüber.“ Das betrifft in erster Linie Schaf- und Ziegenhalter*innen, aber auch Jäger*innen und Hundehalter*innen in Wolfsgebieten. Diejenigen, die bereits in Koexistenz mit dem Wolf leben, haben nicht unbedingt Angst, tatsächlich von einem Wolf angegriffen zu werden. Vielmehr ist es wichtig zu verstehen und anzuerkennen, dass sie sich um ihre Haus- und Herdentiere und ihre Lebensweise sorgen, und dass sie damit hadern, ständig wachsam zu sein und ihnen unbekannte Herdenschutzmaßnahmen zu finden und umzusetzen.
Wie kann die nachhaltige Koexistenz von Mensch und Wolf – also ein Leben auf gemeinsam genutztem Land mit möglichst wenigen Auseinandersetzungen für Mensch und zurückkehrenden Wolf – also gefördert werden? In erster Linie braucht es weitreichende Aufklärung, effektive Unterstützung für Menschen in Wolfsgebieten, und klare Regeln für Management- und, wo nötig, Regulierungsmaßnahmen von Wolfspopulationen. Forschung, wie sich das Leben mit dem Wolf gestaltet und wo und wie sich die Wölfe verhalten ist dafür grundlegend. Weiters sind Transparenz, verlässliches Handeln, Empathie sowie die Einbindung der Bevölkerung sowohl in der Politik als auch in der Forschung wichtig. Zudem spricht sie sich die Expertin für eine objektive Betrachtung des Wolfs aus: „Er ist ein Wildtier – weder Held noch Feind.“
