Sie entstehen aus der Kleidung, die wir tragen, der Farbe, mit der wir unsere Wände streichen und aus den Jausenboxen, die wir unseren Kindern mitgeben: Die Rede ist von Mikro- und Nanoplastikelpartikeln (kurz MNPs), die durch den Abbau bzw. Zerfall von Plastik zustande kommen.
Das sind winzig kleine Plastikpartikel, die sogar in die Nahrungskette und somit in unseren Körper gelangen. Als Mikroplastik bezeichnet man all jene kleinen Kunststoffpartikel, die zwischen 1 Mikrometer (1 µm = 0,001 mm) und 5 Millimetern groß sind. Und unter Nanoplastik versteht man Partikel, die kleiner als 1 Mikrometer sind. „MNPs entstammt meist Produkten aus der Industrie – wie etwa Kosmetika oder Zahnpasta. Diese Partikel sind jedoch nur für ca. 1 % des Plastiks in unserem Körper verantwortlich. Die 99 % der restlichen Partikel, die in unserem Körper gelangen, gehen aus eigentlich viel größeren Plastikprodukten hervor – wie Plastikflaschen, die nach und nach zerfallen“, weiß Lukas Kenner. Der Pathologe und Krebsforscher ist an der Medizinischen Universität Wien tätig und untersucht als wissenschaftlicher Direktor des Forschungsprojekts mikroOne/CBmed die Auswirkungen von Mikro- und Nanoplastik auf die Gesundheit.
Kleine Teilchen und deren Folgen
Mikro- und Nanoplastik gelangt auf drei Arten in unseren Körper: Durch Nahrung, Atmung und über die Haut. Lukas Kenner: „Besonders tückisch ist: Je kleiner die Partikel sind, desto leichter können sie die Barrieren unseres Körpers – wie etwa die Haut die Schleimhäute und die Darmwand – überwinden.“ Wie viel Mikro- und Nanoplastik so von unserem Körper aufgenommen wird, ist dennoch schwer zu sagen bzw. zu messen, gibt der Experte zu bedenken. „Als gesichert gilt mittlerweile, dass wir beim Konsum von einem Liter Wasser aus einer Plastikflasche tausende Partikel aufnehmen.“
Gemeinsam mit einem internationalen Forschungsteam untersuchte Lukas Kenner nun, ob und wie die in den Körper gelangten Nanoplastikteilchen die Wirksamkeit von Antibiotika beeinflussen. Dabei zeigte sich, dass die Kunststoffpartikel nicht nur die Wirkung der Medikamente beeinträchtigen, sondern auch die Entstehung von antibiotikaresistenten Bakterien fördern könnten.
Gefahr in Innenräumen
Die Forscher*innen haben das Antibiotikum Tetracyclin mit Plastikpartikeln gemischt, um den Einfluss der Partikel auf die Wirksamkeit des Antibiotikums zu untersuchen. Tetracyclin ist ein Breitbandantibiotikum, das gegen viele bakterielle Infektionen und auch gegen Akne eingesetzt wird. Bei den Kunststoffen fiel die Wahl auf Polyethylen (PE), Polypropylen (PP) und Polystyrol (PS), die allgegenwärtige Bestandteile von Verpackungsmaterialien sind, sowie Nylon 6,6 (N66), das in vielen Textilien wie Kleidung, Teppichen, Sofabezügen oder Vorhängen zum Einsatz kommt. Dabei konnten die Forscher*innen – dank komplexer Computermodelle – zeigen, dass die Mikro- und Nanoplastikpartikel das Tetracyclin binden – und somit die Wirksamkeit des Antibiotikums deutlich verringern. „Das Antibiotikum war bis zu 50 % weniger wirksam. In der Praxis müsste es somit deutlich höher dosiert werden“, so Lukas Kenner.
Besonders stark zeigte sich diese Auswirkung bei Nylon; das ist insofern problematisch, da gerade Nylon aus Textilien freigesetzt wird und so über die Atmung in den Körper gelangt. „Wir verbringen die meiste Zeit des Tages, manche sagen sogar ungefähr 23 Stunden, täglich in Innenräumen – und dort ist die Mikro-und-Nanoplastik-Belastung etwa fünfmal höher als draußen.“
Antibiotikaresistenzen
Darüber hinaus konnte in der Studie gezeigt werden, dass die Bindung von Tetracyclin an Mikro- und Nanoplastikpartikel im Körper dazu führt, dass das Antibiotikum an nicht dafür vorgesehene Stellen im Körper transportiert wird. Somit verliert es seine Wirkung bzw. erzielt womöglich gar andere unerwünschte Effekte. Ebenso könnte dies zur Entstehung antibiotikaresistenter Bakterien führen. Die Resistenzen gegenüber Antibiotika sind in der Medizin ein großes Problem: Bereits 2019 zeigte eine Studie, die im Fachjournal The Lancet veröffentlicht wurde, dass weltweit mehr als 1,2 Millionen Menschen an Infektionen mit antibiotikaresistenten Erregern starben – etwa genauso viele Todesfälle wie durch HIV und Malaria zusammen im selben Zeitraum. Eine kürzlich erschienene Studie, ebenfalls in The Lancet publiziert, prognostiziert, dass bis 2050 bis zu 39 Millionen Todesfälle infolge von Antibiotikaresistenzen auftreten könnten.
Maßnahmen
Die negativen Folgen durch Mikro- und Nanoplastik – etwa für Meere, Strand und die dort lebenden Tiere – wurden in den letzten Jahren immer wieder thematisiert. In Österreich waren Lukas Kenner und sein Team unter den ersten Wissenschafter*innen, die sich mit den gesundheitlichen Folgen von Mikro- und Nanoplastik auseinandergesetzt haben. Der Experte erinnert daran, dass es noch mehr Forschung braucht, um dem Thema gerecht zu werden, und um mehr Daten zu haben. Mit diesen könnte man Grenzwerte definieren und die Industrie per Gesetzen dazu bewegen, auf alternative Produkte und Produktionsprozesse zu setzen. Bis dahin empfiehlt der Experte etwa auf Filteranlagen, die die Partikel aus dem Raum nehmen, zu setzen, lokale sowie nicht in Plastik verpackte Lebensmittel zu kaufen und Plastikgeschirr zu vermeiden. Getränke sollten möglichst nicht aus Plastikflaschen konsumiert werden und auch der Konsum stark verarbeiteter Lebensmittel sollte reduziert werden, denn diese enthalten ebenso mehr Mikro- und Nanoplastikpartikel. Lukas Kenner: „Stark verarbeitete Lebensmittel enthalten mehr Mikro- und Nanoplastikpartikel, da sie häufiger und intensiver mit Plastik in Kontakt kommen, etwa durch Verpackung, Verarbeitung und Lagerung.“