Am 10. Dezember 1948 wurde die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet – ein wichtiger Meilenstein in der Menschheitsgeschichte. Dennoch werden weiterhin Menschen weltweit zu Unrecht verurteilt, in Gefangenenlager gesteckt und auch gefoltert. Mit dem Thema beschäftigt sich auch die Wissenschaft und so gab es 2024 zum zweiten Mal die Konferenz „Camps, Carcel Imaginations, and Critical Interventions“ an der Universität Graz, die sich diesem Thema widmete.
Gefangenenlager und die AEMR
„Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) nimmt in etlichen Punkten Bezug auf Gefangenschaft: Artikel 3 kennt das Recht auf Freiheit an, Artikel 4 verbietet Sklaverei und Menschenhandel und Artikel 5 verbietet Folter und Bestrafungen, die herabwürdigend oder inhuman sind“, erklären Roberta Maierhofer und Don Walicek. Roberta Maierhofer ist Leiterin des Zentrums für Interamerikanische Studien der Universität Graz und Don Walicek ist Professor für Englisch und Linguistik an der University of Puerto Rico. Beide waren für die Durchführung der Konferenz zuständig. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) ist rechtlich nicht bindend, sie dient jedoch „als gemeinsame Basis für Grundsatzdiskussionen bezüglich dazu, wie Gesetze in unterschiedlichen kulturellen, nationalen und politischen Kontexten gestaltet werden können“ – und die Inhalte der Erklärung sind zudem Bestandteil anderer wichtiger Rechtsdokumente.
Folter ist verboten
Auch für Folter gibt es eine Definition, wie die beiden ausführen: „In der Regel wird Folter als ein Vorgehen definiert, wodurch einer Person oder einer Gruppe gezielt Schmerzen, Leid oder Missbrauch – physisch oder psychisch – zugefügt wird.“ Die Gründe, warum Folter angewandt wird, sind vielfältig – von Informationsbeschaffung, Erzwingung eines Geständnisses, bis hin zu Erniedrigung und Einschüchterung. „Folter ist verboten – sowohl in Ausnahmezuständen und instabilen Verhältnissen als auch im Krieg“, betonen Maierhofer und Walicek.
Guantánamo
Trotz dieses Verbots werden Menschen weiterhin gefoltert – oft in Lagern, in denen die Insassen größtenteils Kriegsgefangene sind, die nie vor einem Gericht verurteilt wurden. Das Gefangenenlager in Guantánamo ist ein Beispiel für so ein Lager. „Folter geschieht tatsächlich in der US-Basis in Guantánamo Bay, bestätigt durch den ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama, durch andere hochrangige Regierungsvertreter*innen und zahlreiche Opfer“, sagen Maierhofer und Walicek. In Guantánamo werden aktuell 30 Gefangene festgehalten, die nie von einem offiziellen Gericht verurteilt wurden bzw. über den Grund ihrer Haft informiert wurden. Die dort angewandten Foltermethoden reichen von Zwangsernährung, Waterboarding und körperlicher Misshandlung bis hin zur Schändung des Korans und jahrelanger Isolationshaft. „In der Anfangsphase des von den USA geführten Krieges gegen den Terrorismus wurde die wiederholte Anwendung von Folter in Guantánamo zu einem weltweiten Diskussionsthema. Einer der Gründe dafür ist, dass durchgesickerte Dokumente deutlich machten, dass diese Praxis auf höchster Regierungsebene gebilligt wurde. Gefoltert wurde nicht nur auf dem Stützpunkt, sondern auch an anderen Orten, an denen Gefangene festgehalten wurden, bevor sie in das unter US kontrollierte Lager nach Kuba gebracht wurden.“
Weltweite Beispiele
Gefangenenlager gibt bzw. gab es nicht nur auf Kuba, auch andere Länder betreiben oder betrieben solche. „Hierfür gibt es viele Beispiele: US-Bürger*innen japanischer Abstammung wurden während des Zweiten Weltkriegs in ‚Umsiedlungslagern‘ interniert. Im gleichen Zeitraum wurden in verschiedenen Teilen der Karibik – unter anderem auf Trinidad und Jamaika – Lager für aus Europa geflüchtete Juden und Jüdinnen eingerichtet. In den 1980er Jahren verlegte die US-Regierung Haitianer*innen nach Puerto Rico und sperrte sie unter brutalen Bedingungen in einem ‚Flüchtlingslager‘ auf einem ehemaligen Militärstützpunkt ein, das eher einem Gefängnis als einem Ort der Zuflucht glich. Ähnliche Lager wurden auch für Kubaner*innen in Panama eingerichtet. Kubanische Flößer*innen wurden in den 1990er Jahren auch in Lagern auf den Cayman-Inseln festgehalten.“
Situation in Österreich
Österreich hat laut den beiden Expert*innen sogar ein „historisches Erbe an Lagern“. Hier verweisen Maierhofer und Walicek auf die Expertise des Historikers Dieter Bacher (Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung der Universität Graz). Er sagt: „Während ‚Lager‘ aus der heutigen Sicht sehr negativ gesehen werden, waren sie während des 20. Jahrhunderts auch in Österreich eine durchaus gängige Form der Unterbringung – nicht nur unter Zwang. Einerseits wurden sie für Gruppen verwendet, die man dort zwangsweise internierte: Kriegsgefangene, Häftlinge, oder verfolgte Gruppen, wie etwa im NS-Regime. Andererseits dienten Lagerstrukturen als vorläufiger Wohnort, etwa für Wohnungslose oder Flüchtlinge. Des Weiteren konnten Lager auch als Quartier für die Bevölkerung im Zuge verschiedener Programme dienen. Von diesen vielen verschiedenen Lagern existierten auf dem Gebiet des heutigen Österreich hunderte, und nicht wenige wurden von mehreren aufeinanderfolgenden Systemen genutzt, manche existierten von den 1930ern bis in die 1970er-Jahre.“ Hierzu braucht es noch mehr Forschung. Über die Rolle der Wissenschaft zu diesem Thema sagt Roberta Maierhofer: „Bei politisch aktuellen und herausfordernden Themen hat die Wissenschaft eine zentrale Rolle, Antworten auf diese Fragen vorzulegen, damit Wissen geschaffen wird. Es geht somit nicht um Meinung oder Lösungsvorschläge – das ist eine Aufgabe von Politik und Gesellschaft – sondern darum, zu wissen, was das Thema in seiner Vielfältigkeit, Kontroversialität und regionalen und geschichtlichen Geprägtheit überhaupt ist.“
Gefangenenlager als Symbol
Gemeinsam ist allen Lagern weltweit, dass die Insassen als „Untermenschen“, so Maierhofer und Walicek, behandelt werden. Es sind also bestimme Gruppen von Menschen, die zu Unrecht festgehalten und oft gefoltert werden: „Jene, die marginalisiert und vulnerabel sind, etwa Minderheiten, Migrant*innen, bildungsferne Gruppen, sozial Schlechter-Gestellte, die kaum oder keinen Zugang zu Bildung und Jobs haben.“
Die Lager sind ein Symbol dafür, wie eine Gesellschaft mit Inhaftierungen, Gefangenschaft und Abschottung umgeht – und das betrifft auch Europa im 21. Jahrhundert: „Gefangenenlager sind längst nicht nur ein US-amerikanisches, sondern auch ein europäisches Thema. Zum einen, weil einige bekannte Guantánamo-Häftlinge in Europa festgenommen und an die USA ausgeliefert wurden. Zum anderen, weil die EU mit ihren Flüchtlingslagern und den geplanten Außencamps für Asylsuchende für intensive Debatten sorgt“, so Roberta Maierhofer und Don Walicek.