Sie ersetzte die Hauptschule und sollte das österreichische Schulsystem gerechter machen: Die Neue Mittelschule (NMS) war ein wichtiges politisches Projekt der ehemaligen Unterrichtsministerin Claudia Schmied (SPÖ). Ursprünglich sollte die Neue Mittelschule, die seit dem Schuljahr 2020/21 Mittelschule genannt wird, als Gesamtschule die AHS-Unterstufe und die Hauptschule ersetzen. Diese Idee fand jedoch – vor allem aufgrund des Widerstandes der ÖVP – keinen politischen Konsens.
Neues Lernen
„Nachdem die Einführung der NMS als gemeinsame Schule für alle 10- bis 14-Jährigen politisch nicht umsetzbar war, fokussierten sich die Reformbemühungen auf die Verbesserung der Qualität des Unterrichts durch die Einführung einer ‚neuen Lernkultur‘“, erklären Christoph Helm (JKU) und Claudia Schreiner (Uni Innsbruck), die sich mit den Ergebnissen der Schulreform befassten.
Lehren und lernen sollte in der NMS individueller gestaltet werden: Lehrer*innen sollten zu Lernbegleiter*innen werden, die Leistungsgruppen wurden aufgelöst und verschiedene didaktische Neuerungen – wie offene Lernformen, selbstständiges, forschendes und projektbasiertes Lernen – wurden initiiert; auch das Unterrichten im Lernteam (genannt Teamteaching) sollte positive Veränderungen bringen.
Lernunterstützung
Helm und Schreiner untersuchten mit ihrer Studie, ob sich die Lehrpraktiken durch die Neue Mittelschule verändert hat und ob die Schüler*innen in den Fächern Deutsch, Englisch und Mathematik nun mehr Unterstützung erhalten. Das Ergebnis: „Während im Deutschunterricht eine signifikante Verbesserung der Lernunterstützung festgestellt wurde, sind im Fach Englisch nur geringfügige Verbesserungen beobachtbar. In Mathematik deutet sich sogar eine Abnahme der Lernunterstützung in den ersten Jahren nach Einführung der NMS an.“ Es zeigten sich auch positive Aspekte: So ist die Unterstützung der Lehrkräfte an den Schulen höher, in denen mehr Schüler*innen mit nicht-deutscher Muttersprache bzw. Schüler*innen aus niedrigen sozialen Schichten sind.
Wenig Verbesserungen
Der nun erschienene Sammelband „10 Jahre Regelschule – die (Neue) Mittelschule“ (erhältlich im Verlag Waxmann) enthält weitere Studien, die etwa zeigen, dass die Abschaffung der Leistungsgruppen keine bedeutsamen Effekte hatten und dass die neue Notengebung (mit sieben Noten) in der NMS „keine Erfolgsgeschichte“ darstellt.
„Die hier beispielhaft angeführten Ergebnisse der Studien verdeutlichen, dass mit der Einführung der NMS die intendierten bzw. erhofften Effekte kaum eingetreten sind; in manchen Aspekten, wie der Leistungsbeurteilung, sogar eine ‚Verschlimmbesserung‘ passierte“, resümieren Helm und Schreiner, wobei die beiden betonen, dass es schwierig sei, Unterrichtsqualität zu messen und strukturelle Reformen Zeit brauchen.
Ungerechtes Bildungssystem
Die letzte PISA-Studie aus 2022 zeigte, dass es in Österreich weiterhin ein chancenungerechtes Schulsystem gibt. Der Schulerfolg ist primär durch zwei Faktoren beeinflusst – dem Bildungshintergrund der Eltern sowie der Wahl des Schultyps nach der Volksschule. So legen etwa Eltern mit hohen Bildungsabschlüssen mehr Wert auf Bildung und sie können sich eher Nachhilfe leisten. Schüler*innen, die von ihrer Familie mehr unterstützt werden, entwickeln meist höhere Kompetenzen, gehen häufiger in eine Allgemeine Bildende Höhere Schule (AHS) und absolvieren ebenso häufiger Matura oder ein Studium; auch die Wahl zwischen Mittelschule oder AHS ist ein wichtiger Faktor für spätere hohe Bildungsabschlüsse.
Wie kann Bildung in Österreich nun gerechter werden? Schulen mit einem höheren Anteil von Schüler*innen aus sozio-ökonomisch schlechter gestellten Schichten bzw. mit nicht-deutscher Muttersprache benötigen mehr finanzielle Ressourcen. Zudem braucht es bildungspolitische Maßnahmen, wie etwa Förderprogramme für Risikoschüler*innen, Kooperationen mit außerschulischen Bildungseinrichtungen – und vor allem massive Investitionen in die Elementarpädagogik, sagen die beiden Expert*innen.