42 Tage, zwei Stunden und 30 Minuten: So lange brauchte Ciara Burns 2021, um den Atlantik mit einem Ruderboot zu überqueren. Gemeinsam mit elf weiteren Mitstreiterinnen setzte sie sich dem Meer aus – eine körperliche wie mentale Herausforderung. Dabei wurden wissenschaftliche Daten der Studentin der TU Wien gesammelt. Am Brustkorb trug Ciara Burns ein EKG-Gerät zur kontinuierlichen Messung ihres Herzschlags. Zudem wurde mittels eines Fragebogens ihr Schlaf- und Wohlbefinden ermittelt.
Alleine der Schlaf-Wach-Rhythmus der Gruppe war extrem: Die Sportlerinnen teilten sich in zwei Hälfte. Je sechs Personen ruderten, während die anderen sechs schliefen. Alle drei Stunden wechselten sie sich ab. Manche der Teilnehmer*innen hatten anfangs sogar Halluzinationen. „Dies ist wahrscheinlich auf den viel zu kurzen Schlaf und die massive physische Belastung zurückzuführen, ohne sich bereits daran gewöhnt zu haben“, erklärt Eugenijus Kaniusas, Universitätsprofessor im Bereich der biomedizinischen Theranostik.
Herzfrequenz bei Extremsport
Aus den Auszeichnungen der Herzfrequenz im Rahmen des EKGs lassen sich viele Rückschlüsse ziehen. Wichtig war hier die Variabilität der Herzfrequenz. Diese ist eine Kennzahl für das autonome Nervensystem und eine objektive Messgröße für die regulatorische Fitness und Leistungsbereitschaft eines Körpers. Als Herzfrequenzvariabilität werden die Zeiten zwischen aufeinanderfolgenden regulären Herzschlägen bezeichnet. Bei körperlicher Beanspruchung bzw. psychischer Belastung ist die Herzfrequenz höher und die Herzfrequenzvariabilität kleiner. Außer der körperlichen Fitness lassen sich auch die Schlafqualität sowie die Möglichkeit der Regeneration während einer Ruhephase so messen. Ein großer Unterschied in der Herzfrequenzvariabilität zwischen Schlafphasen und Wachphasen ist ein Indikator dafür, dass sich der Körper während des Schlafs gut adaptiert und somit erholt. Gleicht sich die Variabilität in Schlaf- und Wachphasen an, ist das ein Zeichen dafür, dass die körpereigenen Regulierungs- und Regenerationsmechanismen nicht mehr optimal funktionieren.
Keine Regeneration mehr
Für Ciara Burns gab es während des Experiments drei Phasen, die besonders herausfordernd waren: „Zu Beginn natürlich, wenn man sich an die Anstrengung und den neuen Rhythmus erst gewöhnen muss. Dann etwa in der Mitte der Reise, als mir bewusst wurde, wie groß der Atlantik in Wahrheit ist, und wie lange die zweite Hälfte noch dauern wird. Und ganz am Ende war es dann noch einmal schwierig, als das Ziel zwar schon nah, aber noch nicht so wirklich greifbar war.“
Und diese drei Phasen lassen sich auch in den Daten erkennen: Ihre Schlafqualität ging deutlich zurück. Das zeigt, dass die psychische Verfassung eng mit messbaren, physiologischen Kennzeichen in Beziehung steht. Zudem ließ die Regenerationsfähigkeit der Studentin im Laufe der Reise kontinuierlich nach. Ihr Körper schaffte es immer schlechter, zwischen Wach- und Schlafphasen umzuschalten. „Am Ende blieb die Regeneration des autonomen Systems praktisch aus“, so Eugenijus Kaniusas.Es zeigte sich aber auch die Widerstandsfähigkeit ihres Körpers und wie dieser in einen Schutzmodus überging, um das Herz nicht zu überlasten: Ihr Herzschlag wurde langsamer und die Aktivität des parasympathischen Nervensystems nahm zu. Dieses spielt eine wichtige Rolle bei der unbewussten Steuerung der inneren Organe.
Einmaliges Experiment
Ein Experiment dieser Art muss gut vorbereiten und durchdacht werden. Das Tragen des EKG-Gerätes sollte Ciara Burns nicht allzu sehr belasten und es stand die Frage im Raum, ob es überhaupt die Reise überdauern wird, denn bis jetzt wurde noch kein medizinisches Gerät auf Hochsee im Boot getestet. Eugenijus Kaniusas sagt dazu: „Wir haben bereits viele Experimente gestaltet und begleitet, keines erforderte ein solches Engagement von einer einzigen Person, wobei die Risiken, die Daten zu verlieren, besonders groß und unberechenbar waren. Es war ein Experiment zur menschlichen Exzellenz unter widrigsten Bedingungen – ein einmaliges Unterfangen in jeder Hinsicht!“
Mentale Stärke
Mit etwas zeitlichem Abstand kann der Universitätsprofessor im Bereich der biomedizinischen Theranostik nun auch seine Empfehlungen aus dem Experiment ziehen: So wäre es besser gewesen, die Belastung nicht abrupt, sondern in Stufen zu steigern, auch eine gezielte Motivation in der Mitte der Reise – wie ein längeres Telefonat mit den Liebsten oder eine kurze Pause – hätten sich positiv ausgewirkt. Auf die Frage, ob jede*r an so einem Experiment teilnehmen könnte, antwortet Eugenijus Kaniusas: „Wenn man das unendliche Engagement, die unerschöpfliche Ausdauer und die geradlinige Zielstrebigkeit von Ciara mitnimmt, dann ja. Mentale Stärke scheint bei solchen Experimenten eine sehr wichtige Rolle zu spielen.“